Unachtsame Kritik und Resignation Marc Ruef | 07.05.2007 Ich bin gerne, ja sogar sehr gerne alleine. Unabhängigkeit im Denken und Tun sind wohl das kostbarste, was man sich aneignen kann. Dennoch geniesse ich es auch, mit interessanten Menschen zusammen zu sein. Es vergeht eigentlich kein Tag, an dem ich nicht mindestens eine Person dieser Art treffe. Sei es nun beruflich oder halt zum gemeinsamen Mittagessen. Bei einem Treffen mit Max hat er mir davon berichtet, dass er per Zufall einen jungen Mann kennengelernt habe, der ausserordentlich begabt zu sein scheint. Dieser arbeite an einer Applikation, die die Untersuchung von Quelltexten mit der automatischen Generierung von Fuzzing-Skripten kombinieren soll. Das ist mehr oder weniger genau das, was ich auch im Rahmen von Kapitel 12 meines Buches (http://www.amazon.de/dp/3936546495/) sowie Innerhalb des codEX Project (http://www.computec.ch/projekte/codex/) anstrebe. So war ich denn natürlich darum bemüht, mit ihm in Kontakt zu treten. Ich schrieb sodann, wie immer dauert das bei mir mehrere Wochen, ein Email. In diesem stellte ich mich wie üblich vor, erklärte den Sachverhalt und mein Interesse an seiner Arbeit. Prompt kam auch eine Antwort zurück, in der er mir die Techniken und Möglichlichkeiten seiner Idee schilderte. Es freute mich ungemein zu hören, dass er sich für einen ähnlichen Ansatz wie ich mich entschieden hatte. Das gab mir das beruhigende Gefühl, dass ich doch nicht komplett auf dem Holzweg sein kann. Ebenso erzählte er mir, dass er schon eine erste Implementierung, diese war noch sehr simpel, vorgenommen hatte. Ich freute mich umso mehr davon zu hören, denn da war endlich mal wieder jemand, der neben den guten Ideen auch noch die Energie und Fähigkeit hat, diese umzusetzen. Sofort schrieb ich denn zurück, ob und inwiefern er sein Erzeugnis veröffentlichen würde. Schliesslich ist die Nützlichkeit dessen in meinen Augen unumstritten. Seine Antwort machte mich jedoch sehr traurig. Er sagte, dass er wohl von einer Veröffentlichung absehen werde. Doch eigentlich war es nicht dies, was mich hauptsächlich traurig machte. Viel mehr war ich von seiner Begründung bzw. dem unumstösslichen Wahrheitsgehalt derer enttäuscht. So sagte er, dass er in der Security-Szene, darf man sie denn so nennen, den unschönen Trend beobachte, dass man sich gegenseitig nur noch destruktiv kritisiere. Macht sich jemand die Mühe etwas zu veröffentlichen, muss er zu grossen Teilen Prügel dafür einstecken. Sätze wie "Schon dagewesen", "Nichts neues", "Die Idee hatte ich schon lange", "Hätte ich auch gekonnt", "Schlecht umgesetzt", "Doofe Idee", "Falsche Programmiersprache" und "Falsches Betriebssystem" machen in den meisten Fällen den Grossteil der Reaktionen aus. Ich liebe Gleichgewicht. Dies bedeutet, dass ich stets darum bemüht bin, ein solches herzustellen. Behauptet jemand, dass Religion unnütz ist, muss ich die Opposition einnehmen. Umgekehrt genauso. Doch in diesem Fall konnte ich es nicht. Mein Antwortschreiben begann also schon fast untypisch kapitulativ mit den Worten "Da kann ich leider nur beipflichten". In der Tat ist im Zeitalter der Blogs der aggressive Kritizismus zu einer vermeintlich ehrbaren Tugend erklärt worden. Wer kritisiert, der ist gut. Der ist ja schliesslich auch besser weder der kritisierte. Und wer immerwieder mit äusserster Härte kritisiert, muss der Beste sein... Kritik, also das Strategem der aus These und Antithese wachsenden Synthese, ist ungemein wichtig. Ich mag Kritik! Ihre Motive und Färbung ist aber wichtig, um eine Nützlichkeit für alle Beteiligten mitführen zu können. Wer kritisiert, damit er kritisiert hat, macht etwas falsch. Und wer sich in seiner Kritik mit unsinnigen Details wie Programmiersprachen oder Betriebssystemen aufhält, sollte sich lieber ein spannendes Hobby suchen. Frei nach dem Motto: Wer nichts gescheites zu sagen hat, streitet über Betriebssysteme. Viele fähige Denker in meinem Umfeld haben sich zunehmends zurückgezogen. Die meisten von Ihnen arbeiten zwar weiter an wunderschönen Projekten. Eine Veröffentlichung derer steht aber nicht wirklich zur Diskussion. Wieso soll man sich in masochistischer Weise der Häme der parasitären Kritiker aussetzen? Da erfreut man sich halt alleine an dem was, man geschaffen hat. Darum solls ja hauptsächlich gehen. Die Folge davon ist nicht von der Hand zu weisen: Die Anzahl der guten öffentlichen Publikationen und freien Applikationen (primär im Security-Bereich) ist in den letzten 5 Jahren praktisch auf 0 gesunken. In meinem neuen Buch zitiere ich zu 90 % Fachartikel aus den Jahren vor 1990. Und die restlichen 10 % sind nicht jünger als 2003. Meine Verlegerin wirft mir vor, mich mit uraltem Krempel abzugeben. Meine resignierte Antwort darauf: "Wenn in den letzten 10 Jahren nichts gescheites veröffentlicht wurde, kann ich mich halt auch nicht darauf beziehen." In dieser Situation sind wir alle zu Verlierern zu erklären. Sowohl die Leute, die schaffen, als auch die Leute, die konsumieren. Wir haben verloren.