Von Sony bis Microsoft: Es riecht nach Verrat Marc Ruef | 06.07.2005 Ich besitze einen kleinen Pinguin aus Plüsch. Nichts grossartiges, einfach ein kleiner Fratz mit einem roten Halstuch und Wollmütze, der bei mir auf dem Bücherregal steht und mich daran erinnern soll, dass auch Pinguine Halsweh kriegen können. Ausserdem erinnert er mich natürlich an Linux, das freie Betriebssystem, dessen Vater Linus Torvalds sowie James Hughes den Zwergpinguin Tux als Maskottchen erkoren hat. Obschon ich seit Ende der 90er Jahre regelmässig Linux einsetze (und über Jahre hinweg den beruflichen und privaten Einsatz von Microsoft-Betriebssystemen verweigert habe), habe ich mir zum Release-Tag eine Microsoft Xbox Konsole gekauft. Nach meiner Kindheit mit Nintento NES, SNES und Sega MegaDrive bin ich unweigerlich auf die Sony Playstation umgestiegen. Die neuen Möglichkeiten des damaligen Konsolen-Flagschiffs waren atemberaubend und Spiele wie WipeOut oder Ridge Racer machten den Gang in die Spielhalle überflüssig. Mit dem Erscheinen der Playstation 2 hat Sony meines Erachtens jedoch eine Talfahrt in kundenoptimierter Strategie aufgezeigt. Wirklich gute Sipele liessen lange auf sich warten. Titel wie Metal Gear Solid 2 (http://de.gs.konami-europe.com/game.do?idGame=39&idGamePlatformnInfo=58) hätten fast mit gleicher Funktionalität auch auf der alten Konsole entwickelt werden können. Der schon lange angekündigte und immerwieder hinausgeschobene Netzwerk-Support machte das seinige. Spätestens als mir mitgeteilt wurde, dass ich das Linux-Kit nur über die offiziellen Kanale beziehen könne, diese jedoch nicht in der Schweiz liefern würden, habe ich mich von der schwarzen Kiste abgewandt. Die Konsole von Microsoft erschien da wie die langersehnte Weiterentwicklung. Eingebaute Netzwerkfähigkeit und die Ankündigungen für Xbox Live liessen viele unterhaltsame Stunden im heimischen Wohnzimmer vermuten. Als diese Funktionalität denn nun freigeschaltet wurde (ich musste mir extra eine Kreditkarte besorgen und das Konto in Deutschland erstellen), verbrachte ich dann tatsächlich viele hundert Stunden in Xbox Live (http://www.computec.ch/download.php?view.261). Spiele wie Phantasy Star Online (http://www.computec.ch/mruef/publikationen/psostats/) oder Ghost Recon fesselten mich bis zu knapp 500 Stunden (normalerweise widme ich einem Spiel höchstens 20 Stunden). Aber auch Microsoft hielt plötzlich nicht mehr viel davon das umzusetzen, was sie mal versprochen hatten. Gute Spiele blieben, wie schon bei der Playstation 2, einfach aus. Titel wie "True Fantasy Live Online" wurden mit atemberaubenden Screenshots angekündigt und Monate später sang und klanglos fallengelassen ("Das Spiel ist doch nicht realisierbar"). Die Funktionalität von Xbox Live wurde auf ein Minimum beschränkt - Lediglich sporadische Updates erweiterten das System um Features, die angeblich schon zu Beginn hätten implementiert sein sollen. Als dann der lange angekündigte Titel "Halo 2" wie ein kalter Aufguss des Vorgängers wirkte und im Online-Modus eine Vielzahl an Bugs aufwies, die über Monate von den Herstellern ignoriert wurden, war auch diese Konsole langsam für mich auf dem absteigenden Ast. Auf der diesjährigen E3 die neue Xbox 360 (http://www.heise.de/newsticker/meldung/59517) vorgestellt und auf Ende des Jahres angekündigt wurde, fühlte ich mich endgültg verraten. Und heute lese ich in der Zeitung (http://www.20min.ch/tools/suchen/story/20438129), dass Microsoft keine 1st Party Software für die "alte" Xbox mehr entwickeln will. Entschuldigung, aber wo blieben die guten Spiele für die Kiste mit dem dröhnenden Lüfter? Grafisch war der GPU-Chip von Nvidia keineswegs ausgereizt. Lediglich Titel wie Halo 2 oder Splinter Cell liessen vermuten, was unter der Haube steckte. Aber das scheint ja nun egal, denn Microsoft wittert auf Weihnachten ein Bombengeschäft mit dem Nachfolgemodell, das übrigens - nicht wie damals beim Playstation-Nachfolger - mit den alten Spielen umgehen (http://www.heise.de/newsticker/meldung/59599) können soll. Diese Geschichte ist einmal mehr der Beweis, dass die Entwicklungen durch Profit - und nur alleine durch diesen - gesteuert werden. Und wirklich ironisch an dieser Geschichte ist, dass die Nutzer der Xbox sich noch darüber freuen, dass sie eine neue Konsole kriegen. Ja, seien wir dankbar, dass wir schon wieder mit neuer Hardware beglückt werden. Und Microsoft, spart Euch das Geld für das Entwickeln von guten Spielen, denn wir freuen uns eigentlich schon auf den Release der Xbox 720 zu Weihnachten 2006. Ich fang schon mal an zu sparen... Wäre die Xbox offener gewesen und hätte es Möglichkeiten zur eigenen Entwicklung gegeben (z.B. eigene Hosting-Server, Karten-Editoren, offene SDKs), müsste die dicke Konsole nun nicht sterben. Den Pinguinen wird immerwieder vorgeworfen, dass sich die Entwicklungen von Projekten nicht vorhersehen lassen ("Von Freaks entwickelte Software kann von heute auf morgen eingestellt werden"). Diese Aussage ist genauso wahr, wie diejenige, dass ein Hersteller eines kommerziellen Produkts plötzlich Insolvenz anmelden oder die altbekannte Lösung verstossen kann. Charles Darwin hatte also doch Recht: "Nichts in der Geschichte des Lebens ist beständiger als der Wandel."