Mit Sicherheit keine Chance Marc Ruef | 17.07.2005 Mitte der vergangenen Woche war ich mit meiner Freundin zwei Tage in am Moon and Stars 2005 in Locarno (http://www.moonandstarslocarno.ch). Wir hatten die Gelegenheit, ein wunderbares Konzert der britischen Rockband "Coldplay" live mitverfolgen zu dürfen. Diese haben auf ganzer Linie überzeugt und sich im Gegensatz zum Konzert im Hallenstadion (http://www.presseportal.ch/de/story.htx?nr=100459184&firmaid=100000203〈=1) in Zürich im April 2003 überproportional verbessert. Eine solch hervorragende Akkustik habe ich an einem Live-Konzert noch nie geniessen dürfen und die Band hat sowohl professionell als auch selbstironisch ihre eingängigen Titel vorgetragen. Während der "Verve"-Frontmann Richard Ashcroft den Abend eröffnete, wurde meiner Freundin plötzlich schlecht. Nachdem ich merkte, dass ihr goldener Teint einem fahlen Weiss gewichen war, gab ich zu den Security-Guards an der Seite ein Handzeichen, dass wir medizinische Unterstützung brauchen. Ein Kopfnicken und weitere Handzeichen des Herrn an seine Kollegen liessen mich wissen, dass jeden Augenblick jemand bei uns sein würde. Zwei Nothelfer trafen ein, als ich sie gerade noch vor dem Umkippen bewahren konnte. Nur wenige Sekunden dauerte es, bis wir in der Notversorgungsstelle eintrafen. Wie ich vermutet hatte, hat ihr die Hitze und das geringe Trinken tagsüber etwas zugesetzt und ihren Kreislauf überstrapaziert. Zäh wie sie ist, wollte sie schon nach wenigen Minuten wieder Richtung Bühne und den weiteren Verlauf des Abends geniessen. Ich sagte, dass ich ihr nun ein Soda organisieren gehe und sie bis auf weiteres dableiben und sich erholen soll. Während ich mich durch die Massen an Leuten quetschte, sah ich mich vermehrt nach der organisatorischen Struktur des Anlasses um. Schon beim Hereingehen bemerkte ich, dass die Seiteneingänge von jeweils einem oder zwei Polizisten in Uniform bewacht wurden. Der Haupteingang wurde sowohl durch durch weitere Exekutive der Demokratie als auch eine private Schutzorganisation abgesichert. Die Ticketkontrollen und vereinzelten Leibesvisitationen gaben einem auf den ersten Blick das Gefühl der Sicherheit. Ich stand nun sicher schon eine Viertelstunde mit etwa einer Million anderer Leute vor einer Bar, um etwas Trinkbares gegen ein bisschen Geld eintauschen zu können. Nachdem mich der überforderte Herr auf der anderen Seite der Theke um sFr. 10.- beschissen hatte, ging ich wieder zurück zu meiner Freundin. Sie wartete schön artig und freute sich, als sie mich sah; auch wenn ihr Lächeln wohl eher dem kühlen Cola galt, denn mir. Wir sassen noch einige Minuten im "Feldlazarett", denn die Vorband hatte sich verabschiedet und die obligatorischen Umbauarbeiten für den Headliner hatten begonnen - Also kein Grund, sich als Opfer von Agoraphobie schon wieder unter die Meute mischen zu müssen. Mir fiel während des Sitzens auf, dass der hier gegebene Eingang unbewacht war. Der Durchgang wurde absichtlich von Absperrungen frei gehalten, um alfällige Überführungen mittels Krankenwagen so reibungslos wie möglich umsetzen zu können. Selbstverständlich, ein solcher Zugriff muss ohne langwierige Kontrollen und hindernde Absperrungen geschehen. Trotzdem schien es schon fast ironisch, dass bei all diesen Absperrungen seelenruhig ein zwei Meter breiter Eingang thronte. Ein jeder hätte innert Minuten unbemerkt Ein- und Ausgehen können, denn die Sanitäter mussten sich um die Kreislaufprobleme und überschwänglichen Alkoholkonsumenten kümmern. Ein ungebetener Gast in Form eines "Schwarzfahrers" oder eines Terroristen hätte sich eindeutig eingeladen fühlen müssen. Sicherheit muss eine hohe Priorität geniessen, überall. Aber Funktionalität, Einfachheit, Effizienz und Wirtschaftlichkeit geniessen oftmals - und das zu Recht - eine höhere Priorität. Aber gibt es denn überhaupt Dinge, die eine niedrige Priorität geniessen? Abgesehen vom Objekt Mensch in einer techno-kapitalistischen Gesellschaft eigentlich nichts. Somit ist, obschon grundsätzlich wichtig, die Sicherheit verhältnismässig unwichtig. Und das in allen Bereichen - Vor allem dort, wo Menschenleben keine direkte Rolle spielen. Das Wichtigste an der Sicherheit scheint also das Gefühl der Existenz einer solchen zu sein. Das wahre Vorhandensein wird sodann zur ersetzten Nebensache. In diesem Belang unterscheiden sich Anzugtragende Security Officers in Banken in keinster Weise von den langhaarigen Besuchern von Rockkonzerten. In dieser Hinsicht sind wir alle gleich, auch wenn es niemand wahrhaben wollen wird.