Ich bin müde, also bin ich Marc Ruef | 29.08.2005 Seitdem sich der diesjährige Sommer ohne Vorwarnung in einen dunklen Herbstanfang gewandelt hat, habe ich an den Morgen merklich Mühe aufzustehen. Wenn sich meine Augen öffnen und noch immer die gleiche Dunkelheit herrscht, wie wenn ich in mich gekehrt auf meiner harten Matratze liege (ich habe seit Jahren chronische Rückenschmerzen), habe ich nicht wirklich Lust meine grossen Füsse auf das kalte Parkett meiner Wohnung aufzusetzen. Diese Müdigkeit schlägt sich jedoch gar als grundsätzlicher Tenor meiner ganzen Tagesform nieder. Während Arbeit muss ich mich teilweise regelrecht zwingen, mich den Dingen anzunehmen, die es anzugehen gilt. Ein Glück, dass ich mein Vorgehen zu grossen Teilen selber ausrichten und mir meinen Takt selber vorgeben kann. Als ich vorige Woche wie immer um 08:30 Uhr aus der S-Bahn bei Zürich Hardbrücke ins freie Trat, kam mir plötzlich eine Idee in den Sinn, die schon lange nicht mehr meine Synapsen in dieser eigenen Form angeregt hat: Das Wesen der künstlichen Intelligenz in einer Software zu verewigen. Wie ich in meiner Publikation "Vom Kern der Intelligenz" (lediglich ein Draft, Teil 1 (http://www.scip.ch/publikationen/smss/scip_mss-19_12_2004-1.pdf) und 2 (http://www.scip.ch/publikationen/smss/scip_mss-19_01_2005-1.pdf)) dokumentiert habe, eifere ich diesem Ziel des modernen Frankenstein seit vielen Jahren nach. Da ich die letzten Monate viel zu tun hatte, investierte ich keinerlei Energie in eben jenes. Warum ich genau an diesem kühlen Sommermorgen - wie aus heiterem Himmel - daran dachte, soll wohl ein nicht minder grosses Rätsel meines Daseins bleiben. Grundsätzlich führte ich mir lediglich die altbekannten Gedanken zum Thema vor Augen. Jedoch intensivierte ich meine Ausrichtung auf die Umsetzung des Projekts mit einer SQL-Datenbank (nicht mit einer flachen Datei-Tabelle der ersten Versionen des ChatBots). Die Effizienz könnte enorm gesteigert werden und mit der Hilfe von PHP lassen sich viele Mechanismen ohne viel Aufwand implementieren. Probleme gäbe es jedoch mit der Status-Zwischenspeicherung, da HTTP derlei Dinge nicht wirklich automatisiert für sich behandeln kann. Auch wenn ich nach wie vor der Meinung bin, dass mein Ansatz richtig und wichtig ist, fehlt mir derzeit der Ehrgeiz, meine Gedanken entsprechend in Codezeilen zusammenzufassen. Meine Müdigkeit zieht also weitere Kreise, weder es mir jeweils an den dunklen Morgen dieser Tage bewusst sein kann. Beim Nachsinnen über die Definition der Intelligenz, des Denkens und des Bewusstseins konnte ich auf einmal eine Idee in klare Worte fassen, die ich schon lange mein Eigen nennen wollte: Ich bin müde, also bin ich. Dieser Satz als Abwandlung des Klassikers "Ich denke, also bin ich" von Descartes mag in Bezug der Ästhetik mit dem Original nicht mithalten. Aber die Richtigkeit der Aussagen scheint mindestens auf gleicher Ebene. Etwas ist, weil es ist. Weist man nun einer Sache einen menschlichen Charakterzug zu, wird sie dann menschlich? Eine Software, die von sich behauptet, dass sie müde ist, wird sodann menschlich? Einzelne Postulationen wie "Intelligenz erfordert adäquate Reaktion" oder "Bewusstsein bedeutet Unterscheidung zwischen Ich und Es" sind nur separierte Fragmente einer Definition dessen, was wir noch nicht mal mit einem Namen adressieren können. Was suchen Leute wie ich eigentlich, die von künstlicher Intelligenz reden? Der Begriff künstliche Intelligenz ist in etwa genauso schwer zu fassen wie die Dinge, die wir Liebe oder Seele nennen. Ich kam zum Schluss, dass meine drei Definitionsregeln der Intelligenz schon sehr eng das formulieren, was mir vorschwebt: (1) Auf Reize adäquat regieren, (2) sich wundern bzw. fragen können und (3) neue Reize/Reaktionen aufnehmen können. Ob und inwiefern ich damit etwas Emulieren kann, was auch andere Leute als "intelligente Verhaltensweise" bezeichnen würden, bleibt für mich sekundär. Mein Ziel ist das künstliche Umsetzen meiner eigenen menschlichen Verhaltensweise einer schriftlichen Kommunikation. Dass auch die technische Adaption meines Ichs müde sein wird, das kann ich nicht ausschliessen. Aber wird es dadurch wirklich schon menschlich? Der Mensch sieht sich seit hunderten von Jahren als unangefochtene Krönung der Schöpfung. Schon alleine der Gedanke daran, diese Position zu verlieren und sich in die vermeintliche Stumpfsinnigkeit anderer Lebewesen einreihen zu müssen, lässt lautstarke Oppositionen in den eigenen Reihen entwickeln. Doch ist der Homo Sapiens wirklich so viel mehr, wie anderes auf diesem blauen Planeten? Oder sind wir wirklich nicht auch "lediglich" ein kibernetisches System mit modularen, relationalen und behavioristisch-initiierten Abläufen, deren unendliche Komplexität wir als Intelligenz und ihre Geheimnisse als Seele bezeichnen wollen? Wir wären sodann nichts anderes weder ein umfassendes Computerprogramm, dessen Entwickler sich viele Stunden mit der Umsetzung seiner Idee beschäftigt hat. Ich bin der Meinung, dass ich nichts tätigen oder schaffen kann, was nicht auch von einer Maschine umgesetzt werden könnte. Ich als Mensch kann also eine Maschine entwickeln, die mich in derlei Belang ersetzen kann. Genauso müsste ich eine Maschine bauen können, die sich selbst kreieren kann. Mit dieser verwegenden Weiterführung einer Idee habe ich quasi bewiesen, dass sich der Mensch (wenigstens ich) nicht von dem unterscheidet, was er (eigentlich in diesem Fall ich) erschaffen kann. Dies wertet weder die Maschinen auf noch würdigt es den Menschen ab. Es soll nur zeigen, dass die Ästethik der Umsetzung beider Dinge nicht mehr unterscheidbar wird. Der Mensch ist lediglich eine Maschine aus Fleisch und Blut. Dass ich jedoch selber grösster Kritiker meiner These bin, muss hier dringendst angemerkt sein. Denn so wage ich ernsthaft daran zu zweifeln, dass ein Programm, das Emotionen "simulieren" kann, ebenfalls humanistischen Umgang erfordert. Selbst ich würde ohne Nachsinnen das Leben eines Menschen als wichtiger erachten weder die Existenz einer Maschine, sei sie auch noch so menschlich. Mensch und Maschine sind also doch nicht gleich, obschon sie meine Definition erfüllen. Ist meine Definition somit gescheitert? Falls ja, wieso? Vielleicht, wenn die Tage wieder etwas heller werden, werde auch ich zu einem aktiven Entwickler, der seinen eigenen Homo Sapiens, jedenfalls die gedankliche Struktur eines solchen, (nach-)programmiert. Höre ich da schon die ersten Vertreter meiner Gattung stampfen, die mich als Ketzer beschimpfen wollen...? Kritik bleibt unabdingbar und so warte ich gerne auf die Vollendung des dialektischen Dreischritts nach Hegel, auch wenn das Ausbleiben dessen die gewünschte Richtigkeit meiner Gedanken bedeuten könnte...