Propaganda als erster Schritt zur totalen Überwachung Marc Ruef | 01.09.2005 Als ich etwa 12 Jahre alt war, kriegte ich meinen ersten eigenen Fernseher. Eine kleine weisse Kiste, die sich da in meinem mit viel Holz ausgebauten Zimmer fand. Neben den drei Sendern des schweizerischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens (http://www.srg.ch) (DRS, TSR und TSI), welche sich damals über Antenne ins heimische Zimmer holen liessen, flimmerten vor allem Konsolen-Spiele (NES) über den konvexen Bildschirm. Eine Sendung, die ich schon in meiner Kindheit aufmerksam verfolgte war "Kassensturz" (http://www2.sfdrs.ch/system/frames/highlights/kassensturz/). Ein seit Jahren ausgestrahltes Magazin, das aus kritischer Konsumentensicht die Situationen und Entwicklungen in der Schweiz betrachtet. Themen wie falsche Deklarationen auf Lebensmitteln oder Abzocke bei Kaufverträgen werden in kleinen Beiträgen zusammengefasst und von Fachleuten dokumentiert. Eine Sendung, auf die man als Schweizer stolz sein kann, denn sie ist für mich seit jeher der Inbegriff von kritischer Demokratie und ethischer Meinungsfreiheit in unserem überschaubaren Staat. Ich schaue zur Zeit eher selten fern, nehme mir höchstens Zeit eine neue Folge von "CSI Las Vegas" (http://www.imdb.com/title/tt0247082/) auf DVD zu schauen (unbedingt im amerikanischen Original!). Als ich vor einigen Tagen bei meiner Freundin war, wurden wir nämlich praktisch einmal mehr den ganzen Abend mit langweiligem und oberflächlichem Fernseh-Non-Sense gestraft: Auf MTV wurde über hässliche Rockstars mit schönen Model-Freundinnen berichtet und VIVA zeigte schon wieder ihre als korrupt anmutende Glücks-/Spielshow (http://www.20min.ch/tools/suchen/story/23365493) ("Addieren Sie alle Zahlen und Ziffern und gewinnen Sie!"). Per Zufall sind wir dann auf SF DRS beim "Kassensturz" hängen geblieben, denn dort wurde soeben das Thema biometrischer Pässe behandelt. In der Schweiz sollen diese Ende 2006 flächendeckend eingeführt werden, um mitunter den neuen Auflagen der USA gerecht zu werden. Die gespeicherten biometrischen Daten lassen sich über eine kontaktlose Chipkarte auslesen. Wie von der Sendung gewohnt, wurden die Probleme dieser Lösung kritisch tangiert. Lobenswert, wie ich finde, auch wenn meines Erachtens noch viel mehr auf die Problematik von Datenkorruption, illegales Auslesen/Überschreiben und die Sammlung sensitiver Daten in einer zentralen Datenbank eingegangen werden hätte sollen. Trotzdem, eine Vielzahl der Fernsehbürger wird sich nun Gedanken machen: - Wieso brauchen wir das überhaupt? War das alte System nicht effizient und sicher genug? - Wieso kostet der neue Pass so viel (über sFr. 300.-)? - Wieso ist er nur fünf Jahre gültig (und nicht mehr 10)? - Wie will eine so hohe Fehlerrate bei biometrischen Erkennungen (ca. 20 % bei Fingerabdrücken) mehr Effizienz versprechen? - Wieso muss ich für einen kaputten Chip/Pass selbst aufkommen? - Wieso muss ich selbst eine periodische Funktionskontrolle umsetzen? - Wieso lassen sich einfach Daten aus dem Chip auslesen? - Wieso werden die Daten zentral gespeichert? - Wer hat Zugriff zu diesen Daten? - Wer garantiert, dass diese Daten gesichert abgelegt und nicht missbraucht werden? Wirklich schockiert haben mich die Aussagen der zuständigen Behörden, die die Probleme als nichtig oder kalkulierbar propagiert haben. Die Daten seien "geschützt" und eine Manipulation deshalb nicht ohne weiteres möglich. Ich habe mich noch nicht intensiver mit den technischen Aspekten des besprochenen biometrischen Passes auseinandergesetzt, aber diese Aussage wird voraussichtlich beim gegenwärtigen Stand der Technik nicht haltbar sein. Obschon biometrische Messinformationen eventuell chiffriert gespeichert werden, lassen sich diese durch jedes kompatible Terminal auslesen (http://www.heise.de/newsticker/meldung/60314). Das Offline-Cracking (http://www.computec.ch/download.php?list.12) derlei Daten ist sodann nur noch eine Frage der Zeit. Und mit Artikeln wie "Hacking Biometric Systems" (http://www.computec.ch/download.php?list.6) sind hübsche Anleitungen gegeben, wie Fingerabdrücke - einmal ausgelesen - nachgebildet werden können. Zwar nicht so brutal wie in "Minority Report" (http://www.imdb.com/title/tt0181689/) oder "The 6th Day" (http://www.imdb.com/title/tt0216216/), aber mindestens so effektiv. Für mich hatte der Vertreter des Bundes eine offensichtliche Propaganda-Funktion inne. Mit klaren und knappen Floskeln sollten Zweifel, Einwände und Kritiken aus dem Weg geräumt werden, um die Einführung möglichst reibungslos unter der Nase des willigen - da manipulierten - Volkes voranzutreiben. Auf technische und organisatorische bzw. datenschutzrechtliche Probleme ist man grundsätzlich gar nicht erst eingegangen oder hat sich auf die vermeintliche Rechtmässigkeit berufen. Floskeln, nichts mehr als Floskeln, wie man sie aus populistischer Politik kennt. Und man scheint trotzdem ob dieser befriedigt. Wenn ich mich denn mal dazu hinreisen lasse, mit jemandem über derlei Problematiken (wie eben das Forcieren eines biometrischen Passes) zu diskutieren, bin ich immerwieder ab der Unwissenheit, Gleichgültigkeit und Ignoranz meiner Gesprächspartner erstaunt. Menschen ohne technischen Hintergrund meinen, dass diese Science-Fiction-Gadgets ein Fortschritt seien. Wer das System kritisch betrachtet merkt, dass die Zeit technisch noch nicht reif ist und deshalb auf wackeligen Beinen steht. Wieviel sind wohl nach Einführung solche biometrische Daten im IRC wert? Cracker sind dann nicht mehr hinter Kreditkarten-Informationen her, sondern hinter biometrischen Daten. Ich selbst bin nicht stolz auf diese angebliche Progessivität des Schweizer Regierungsapparats. Die Leidtragenden sind offensichtlich das Volk, dem mit einem verhaltenen Lächeln die schöne neue Welt versprochen wird. Aber spätestens dann, wenn die erhöhten Fehlerraten bei der Überprüfung, die vielen kaputten Chips und die ersten Fälle von Identitätsdiebstahl bekannt werden, wird das schweizer Stimmvolk seine Hände über den Köpfen zusammenschlagen. Dann schreiben wir aber wahrscheinlich schon das Jahr 2010, dieser Eintrag wird längst vergessen sein - Und dann ist es zu spät. Nichts da mit schöner neuer Welt.