Ich verachte Politik und bin doch mitten drin Marc Ruef | 10.09.2005 Politik setze ich mit Lobbyismus gleich. Egal in welcher Staatsform und welcher Couleur angehörend, läuft alles auf das Prinzip der "Eine Hand wäscht die andere" hinaus. Anarchistische Systeme, in denen im klassischen Sinn eine Führerlosigkeit herrscht, können in erster Linie durch Koaliationen kompromittiert werden. Absoluter Individualismus wird aufgegeben, um in der Gruppe ein Mehr an Macht zu erhalten. Ein einfaches Prinzip, das sich so weit hochschaukelt, bis der Einzelne gar keine Chance mehr hat. Zwängt man dies in geregelte Formen und verpasst ihr den Stempel der Rechtsstaatlichkeit, kommt irgendwann etwas im Sinne einer Demokratie zustande. In ihren Grundzügen durchaus das, was Platon in "Politeia" (Der Staat) skizziert hat. Wir sind zufrieden. Ich persönlich muss gestehen, dass ich in meiner jugendlichen Ungestümtheit diesen Umstand verachte und auf dieser Ebene die "Umkehrung der Werthe" nach Nietzsche herbeirufen möchte. Soziale Systeme sollen nicht mehr auf mafia-ähnlichen Zusammenhängen basieren, so dass Korruption und Hinterlist ein Mehr an Gewinn bescheren können. Derjenige mit der grössten Liebe zur notwendigen Wahrheit, der muss am meisten belohnt werden, damit die Abhängigkeit eines jeden auf die gesamte Gesellschaft - und nicht nur seinen eigennützigen und korrupten "Kreis der Handwäscher" - hinfällt. Obschon ich meine gegen diesen Missstand sämtlicher aktueller Stunden seit dem Tag Null anzukämpfen, bin ich selbst ein Teil dessen. Bestes Beispiel ist computec.ch, das ich gut und gerne als mein kleines Sprachrohr nutzen möchte, um meine Gedanken in Worte zu zwängen und andere vielleicht damit zum Weiterdenken anzuregen. Würde ich meinen Grundsätzen treu bleiben, müsste ich unverhohlen und mit brutaler Ehrlichkeit auftreten und vor nichts zurückschrecken, ginge es mir denn nur um die Wahrheit. Doch selbst ich versuche mich einzureihen und gebe in so manchen Situationen die Wahrheit einem anderen Vorteil preis. Ich möchte ein Beispiel aufzeigen. computec.ch verstand und versteht sich primär als Archiv für deutschsprachige Publikationen zu den Themen Computer, Technik und Sicherheit. Seit dem Start im Jahr 1997 habe ich eine Vielzahl an Schriftstücken erhalten, die die Autoren zur Publikation auf meiner Plattform vorgesehen haben. Die Qualität derlei Einsendungen reichte dabei von hervorragend bis beschämend. Veröffentlicht habe ich alles, sofern es nicht gesetzlich oder ethisch zweifelsfrei fragwürdig war. Wie ich schon seit jeher in der FAQ zur Seite stehen habe: "Meiner Meinung soll nicht ich den Inhalt meiner Seiten filtern, sondern der Leser selbst. Dies bedeutet, dass ich es meinen Besuchern überlasse, welche Texte sie als gut empfinden und gerne lesen möchten." Mit der Einführung des CMS kamen die Funktionen für Abstimmungen und Kommentare einher. Die Besucher können nun aktiv die Qualität der Webseite verändern, indem sie gute Worte für gute Publikationen aussprechen und schlechte Noten den schlechten Dokumenten vorenthalten. Auch ich selbst lasse es mir nicht nehmen, die jeweiligen Titel zu bewerten und vielleicht das eine oder andere Mal eine Kurzkritik zu verfassen. Doch wie soll ich der Situation gegenüberstehen, dass ich nun einen Text rezensieren muss, der von einem guten Freund oder einem Geschäftspartner eingeschickt wurde? Was soll ich tun, wenn ich diesen als miserabel empfinde? Muss ich zur Wahrheit stehen und falls Nein, zu welchem Preis? Eines der höchsten Güter des Menschen ist die konsenstheoretische Wahrheit, doch selbst die kann hinderlich sein, wenn man andere Ziele verfolgt. Selbstverständlich möchte ich alte Freunde nicht mit einer Kritik zerreissen. Dies täte einer Freundschaft nicht gut (Obschon man nach Nietzsche auch sagen könnte, dass wenn eine solche wegen diesem zerbricht, sie es nicht wert war). Oder ich raube dem Autoren seine Kraft, in Zukunft etwas besseres oder gar Gutes zu schaffen. Ein Vorwurf, mit dem ich - obschon sehr spiritueller Natur - nicht leben möchte. Manchmal gibt es Momente, in denen man Argumente und Attribute abwägen muss. Momente, in denen die redundanztheoretische Wahrheit menschlichem Zuspruch oder anderen Wichtigkeiten weichen muss. Es mag zwar eine innere Spannung erzeugen im Sinne des Über-Ichs nach Freud, doch diese ist bei Entscheidungen im Grunde immer gegeben; egal, wie konsent oder absolut die Entscheidung ausfällt. Auch weiterhin werde ich es so halten, dass ich Beruf und Privatleben voneinander trenne. computec.ch betrachte ich als professionelle Arbeit, bei der Gefühle nichts (oder nur wenig) zu suchen haben. Ergo, auch weiterhin werde ich mich nicht scheuen, eine schlechte Kritik zu verfassen. Solange diese möglichst objektiv sowie sachlich und vielleicht auch etwas diplomatisch ausfällt, meine ich mir nichts bzw. nur das wenigste zu Schulden kommen zu lassen. Das Schwierigste am Leben bleibt das Fällen von Entscheidungen. Denn ob diese richtig sind oder falsch, dies lässt sich zuvor nur erahnen und selbst im Nachhinein nicht absolut erfassen.