Donald E. Knuth meets Zürich Marc Ruef | 25.11.2005 Einer meiner liebsten Autoren von Fachbüchern ist, neben Richard Feynman, der US-Amerikaner W. Richard Stevens. Seine Buchreihe "TCP/IP Illustrated" ist unter Fachleuten legendär. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich jeweils im Zug auf dem Weg zur Arbeit den ersten Band verschlang. Die sprachliche Ästhetik eines Computerbuchs war für mich unglaublich. Seine Gratwanderung zwischen erforderlichem Informationsgehalt, das Fehlen unnötiger Informations-Redundanz, didaktischer Linearität und das Ausmass der raffinierten Hintergrundinformationen hat jede Seite zu einem Genuss gemacht. Nicht viel anders ging es mir, als ich auf "The Art of Computer Programming" von Donald E. Knuth stiess. Nur wenige Zeilen musste ich lesen, bis ich bemerkte, was für ein Perfektionist hier am Werk war. Was Stevens in meinem Literatur-Verständnis vorgelegt hatte, hatte Knuth noch übertroffen. Bis ins kleinste Detail diskutierte er Algorithmen und damit trat er wahrlich den Beweis an, dass auch in der Mathematik (und Programmierung) Ästhetik gegeben sein kann. Eine der schönsten Erinnerungen an meine Thailand-Reise Ende 2002 war der erste Band der besagten Serie, den ich manchmal heimlich während des Besuchs im buddhistischen Kloster gelesen habe (Bücher waren dort eigentlich verboten). Aufgrund einiger Verbindungen zur Universität Zürich wurde ich schon relativ früh darüber informiert, dass Don Knuth, wie ihn seine Freunde zu nennen pflegen, einen Vortrag (http://www.inf.ethz.ch/news/spotlight/dist_talks/knuth_DE) halten würde. Dies wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Meiner Freundin habe ich das so erklärt, dass er für mich ein bisschen soetwas ist, wie Albert Einstein für die Physik war: Ein komischer Kautz und damit eine schöne Inspiration. Nach einem Posting im computec-Forum (http://www.computec.ch/forum_viewtopic.php?14.3877) verabreteten sich Björn, Stefan und ich beim Irchel. Wir waren alle sehr gespannt auf die Vorlesung, die den Titel "The Joy of technical Illustration" tragen sollte. Wir hatten es uns frühzeitig in einer der freien Reihen gemütlich gemacht und als Knuth angekündigt wurde, waren wir froh über unser rechtzeitiges Erscheinen, denn mittlerweile waren praktisch alle Sitze besetzt. Ich musste schmunzeln, als der Altmeister der theoretischen Informatik das Titel-Blatt seiner Präsentation auflegte: Es war von Hand und mit verschiedenen Farben geschrieben, deshalb erinnerte es eher an die Arbeit eines Primarlehrers, denn eines emeritierten Professors für Computer-Wissenschaften. Nicht gerade als der brillianteste Redner aber aufgrund seiner Denkweise unglaublich imposant trug Knuth seine Thesen zur Visualisierung technischer Gegebenheiten vor. Der Teufel liegt im Detail und so brüskierte er sich über mathematisch inkorrekt abgebildete geometrische Formen oder unsachlich gestaltete Baumdarstellungen. Ist man selber nicht Liebhaber derlei Dinge, hätte die Diskussion schon fast ein bisschen komisch anmuten können. Und scheinbar war wirklich der eine oder andere Student enttäuscht, erzählte Knuth doch primär von MetaFont und seinen Möglichkeiten. Ich selber betrachtete den Vortrag aber eher als Inspiration für eigene Arbeiten. Denn Knuth hat sehr viele Stunden damit verbracht, sein Verständnis für technische Illustrationen voranzutreiben. Ich wäre ein Narr, würde ich von seinem breitwillig aufgetischten Wissen nicht profitieren wollen. Vor allem in Bezug auf den Einsatz von Flussdiagrammen und Baumstrukturen konnte ich die eine oder andere Idee für mich mitnehmen. Interessant zu beobachten war, dass Knuth ganz und gar nicht wie ein Lehrmeister erschien. Er stand nicht mit erhobenem Zeigefinger vor dem Publikum und wetterte über fehlerhafte Denkweisen. Stattdessen schwärmte er davon, wie er in der einen oder anderen Publikation ein schier unlösbares Problem bezwang und mit kleinen Tricks wunderschöne Abbildungen schaffen konnte. Selbst über die Spitze eines Pfeils konnte er sich freuen, ist diese absolut mit dem Rest der Darstellung einhergehend. Unterhaltsam dabei besonders seine Anekdoten, wie zum Beispiel jene, dass in den sechziger Jahren viele Abbildungen von einem Künstler als Auftrag von Hand umgesetzt wurden. Dass es dabei Abweichungen in der Geometrie geben musste, war abzusehen und für Knuth besonders ärgerlich. Ein Umstand, den man sich als Schriftsteller in der heutigen Zeit gar nicht mehr vorstellen könnte. Oder jene Geschichte, wie in Stanford bei einem Besuch von Bill Gates eben diesem eine Präsentation hielt. Gates war ob Knuths Vortrag so begeistert, dass er der Universität am nächsten Tag 10 Millionen US-Dollar spendete. Sein selbstironischer Kommentar: "Und dann soll mal jemand sagen, dass theoretische Informatik zu nichts zu gebrauchen sei." In der finalen Fragerunde wurde ein besonders gutes Thema angeschnitten, bei dem selbst Knuth die Limitierungen der geliebten Bücher eingestehen musste: Die Darstellung dynamischer Zustände. Einzig der Verweis auf das Miteinbeziehen von Farben oder das Ansetzen von Beschriftungen schlug er als Lösungsansatz vor. Schliesslich wolle er ja nicht mit Pixar konkurrieren... Ich für meinen Teil - und darin waren wir uns alle einig - habe den Auftritt einer der lebenden Legenden der Informatik sehr genossen. Dieser wird mir jedenfalls in schönster Erinnerung bleiben, auch wenn ich schlussendlich doch darauf verzichtet habe, dass er meine abgegriffene Version von "The Art of Computer Programming, Volume 1" signiert hat.