Sprache als Beweis der Intelligenz? Marc Ruef | 17.02.2006 Künstliche Intelligenzen sind eine faszinierende Sache. Meine Freundin sieht darin eine Gefahr für die Menschheit. Ich hingegen sehe in ihr eine Chance für die selbige. Und zwar können sie uns unterstützen, indem sie beispielsweise Entscheidungen vereinfachen. Expertensysteme verrichten beispielsweise vielerorts solide Arbeit. Die Anwendungen INTERNIST und MYCIN sorgen beispielsweise für eine vereinfachte Diagnose in der Medizin. Wie ich in meiner Abhandlung "Vom Kern der Intelligenz" (scip monthly Security Summary, Ausgaben 19. Dezember 2004 und 19. Januar 2005, Teil 1 (http://www.scip.ch/publikationen/smss/scip_mss-19_12_2004-1.pdf), Teil 2 (https://www.scip.ch/publikationen/smss/scip_mss-19_01_2005-1.pdf)) beschrieben habe, erachte ich drei Dinge zur Definition von Intelligenz als wichtig: (1) Ein adäquates Reagieren auf Reize, (2) ein sich wundern und (3) das Lernen neuer Reaktionen. In Bezug auf ein Gerät, das sich mittels Tastatur und Bildschirm mitteilt heisst dies, dass es die Sprache "versteht". Doch was ist eigentlich die Sprache? Wie definiert sie sich und wie hält sie ihre Inhalte fest. Nehmen wir den Satz "Du bist ein Computer". Dieser ist hochgradig komplex, besteht er doch aus einer enormen Anzahl Nuancen. Das Subjekt "Du" bezieht sich auf das Gegenüber. Bevor man dieses Wort versteht, muss man zuerst verstehen, dass das Ich nicht Teil des Dus ist. Die Verben, in diesem Falle das konjugierte "sein", sind ebenfalls ein Problem für sich. Oder wer käme schon auf die Idee, dass es "sein", "ich bin", "du bist", "er ist" lautet. Und in der Vergangenheit wird dies gar zu "ich war", "Du warst", "er war". Diese vermeintliche Unlogik ist beängstigend und gar nicht leicht zu durchschauen. Für mich war das höchste Ziel einer künstlichen Intelligenz, dass diese mit einem möglichst geringen Grundwissen startet, welches sich selber weiterbildet. Das Implementieren hochkomplexer Algorithmen zur Sprachverarbeitung oder das Abfüllen von potentiellen Reaktionen in eine Datenbank laufen dem eigentlich zuwieder. Aus diesem Grund versuchte ich bei meinem Projekt vor allem letzteres in höchstem Masse zu beschränken. Betrachte ich die Welt, dann besteht diese eigentlich lediglich aus Attributen. Nehmen wir als Beispiel das Objekt "Auto". Die Attribute eines solchen sind "Fahrzeug" (Klasse), "rot" oder "blau"(Farbe), "Metall" (Material), "gross" (Vergleich zu etwas kleinerem), usw. Die Sprache ist eigentlich nur ein Abbild dieser Weltlichkeiten. Also hat auch der Begriff "Auto" (nicht die Sache ansich) diese Attribute. Ein Auto ist ja schliesslich ein rotes Fahrzeug aus Metall, das grösser weder kleinere Dinge ist. Nehmen wir nun das Attribut "gross" und fragen uns, was es überhaupt bedeutet. So können wir dieses Attribut, es wird quasi das Objekt unserer neuen Betrachtungen, ebenfalls mit Attributen umschreiben. Mit "gross" meinen wir eine Vergleichseinheit, es ist ein Adjektiv, es wird mit dem Wort "grösser" gesteigert, im Kasus Genitiv als "des grossen" geschrieben, usw. Dieses Spiel können wir immer weiter machen, denn nun könnten wir uns fragen, was denn nun überhaupt eine "Steigerung" ist oder was man unter einem "Adjektiv" versteht. Das System erklärt und versteht somit sich selbst. Irgendwann werden wir voraussichtlich wieder auf den Ursprungsbegriff "Auto" kommen, wobei wir eventuell den Umweg über die Begriffe "Vergleich", "Beispiel" und "Fahrzeug" machen. Interessant bleibt dabei, dass sich die Welt - und damit auch die Sprache - selbst erklärt. Es ist ein Kreislauf. Mit dem Wort "gross" kann ich ansatzweise das Wort "klein" beschreiben. Diese beiden Beschreibungen eignen sich, um ein Beispiel für "Vergleich" zu machen und dieser wiederum kann herhalten, um ein "Ferrari" mit einem "Lamborghini" zu vergleichen. Meine These ist deshalb, dass ich meine künstlichen Intelligenz eine relationale Datenbank spendiere, die die Begriffe samt ihrer Attribute vermerkt. Zu Beginn wird vielleicht lediglich das Attribut "Metall" dem Objekt "Auto" zugewiesen sein. Aber sodann kann das Gerät nachfragen, was denn Metall sei oder ob ein Auto noch andere Eigenschaften hat. Das System kann also lernen, zunehmends neue Dinge fragen und dank der neu erworbenen Antworten in Zukunft adäquat reagieren. Damit hätte ich mein Ziel erreicht. Ob dies aber wirklich funktioniert, wie weit das Verständnis durch einen Computer für seine "virtuelle Umwelt", die lediglich ein abstraktes Abbild der realen Welt ist (Immanuel Kant und Arthur Schopenhauer messen diese Limitierung auch dem menschlichen Erkenntnisvermögen zu), überhaupt erworben werden kann, das lässt sich zur Zeit nur erahnen. Letzte Fragen unglaublicher Wichtigkeit bleiben bestehen: Welches ist das erste, das man einem System beibringen sollte, damit es sich möglichst schnell entwickelt. Sind es Begriffe wie "Ich" oder "Du"? Oder spielen Verben wie "sein" oder "haben" eine grössere Rolle? Ich weiss es nicht. Wahrscheinlich ist es vieles zusammen. Und wie sieht es eigentlich mit den Unterschieden der Sprache aus? Funktioniert Deutsch genau gleich wie Englisch? Oder Französisch und Japanisch? Vielen Dank an Pascal Suter, der in Bezug auf das Thema der künstlichen Intelligenz immerwieder ein ausgezeichneter Gesprächspartner ist, da er sich nie davor scheut, mich auf logische Fehler und meine kindliche Implikationen hinzuweisen. Auch diesen Beitrag bzw. seine Grundlagen hat er im Vorfeld ausführlich kritisiert und mich auf neue Ideen gebracht. Dies ist sehr wertvoll für mich.