Die Wichtigkeit von Psychogrammen Marc Ruef | 04.05.2006 Am 1. Mai 2006 erschütterte die Meldung (http://www.20min.ch/tools/suchen/story/29538812) des Tods der Schweizer Skirennfahrerin Corinne Rey-Bellet. Vorerst war unklar, was genau passiert war. Ihr Bruder Alain wurde bei der Tat ebenfalls erschossen und die Mutter schwer verletzt. Vom Ehemann fehlte bislang jede Spur. In den Tagesmedien wurden Spekulationen über Einbruch und Beziehungsdrama angestellt. Allein die spärlichen Informationsfragmente des Tathergangs, wie sie von den Medien weiterverbreitet wurden, liessen auf letzteres schliessen. Ein Überfall im grossen Stil ist in der Regel gut vorbereitet. Das Tragen von Schusswaffen ist dabei eher untypisch. Sollte sich ein Täter trotzdem entscheiden, eine solche mitzuführen, wird er sie in den seltensten Fällen benutzen wollen. Viel eher fungiert diese dabei als Instrument der Drohung oder im Falle einer anstehenden Festnahme als Verteidigungsinstrument grösster Aggressivität. Dass bei diesem vermeintlichen Überfall zwei Menschen getötet und eine Person verletzt wurde, es sich dabei gar um zwei Frauen handelte, schliesst einen Überfall praktisch aus. Von den beiden Frauen ist für den Täter wohl kaum ein solches Höchstmass an Gefahr ausgegangen, dass sich die Tötung rechtfertigen liess. Andere Motive waren eindeutig im Spiel. Die Aggression des Täters richtete sich gegen ein und dieselbe Familie. Tochter und Bruder sowie Mutter wurden angegriffen. Ein persönliches Motiv, das diese Gruppe an Personen ins Visier rücken liess, scheint offensichtlich. Die Einwirkung stumpfer Gewalt oder Tod durch Strangulation ist bei Beziehungsdelikten, bei denen Männer einen Grossteil der Täterschaft ausmachen, typisch. Der Gebrauch einer Schusswaffe könnte sich in diesem Zusammenhang dadurch erklären, dass zeitgleich mehrere Personen geschädigt werden wollten. Das Fernbleiben des Ehemannes rückt diesen eindeutig ins Visier der Ermittlungen. Wie sich herausstellte (http://www.20min.ch/tools/suchen/story/31437263), war eine derartige Deduktion ganz richtig. Gestern Abend noch, habe ich ein Interview eines Psychologen im Fernsehen gesehen. Dieser beteuerte vor der Kamera, dass der flüchtige Ehemann wahrscheinlich noch leben würde. Auf seiner Flucht, er war mitunter mit über 250 km/h geflüchtet, habe er enormen Überlebenswillen gezeigt. Es sei unwahrscheinlich, dass sich dieser selber Töten würde. Eine Flucht ins nahe gelegene Ausland Richtung Frankreich sei für den Sportler über die grüne Grenze eine Möglichkeit. Nur wenige Stunden später dementierte eine Eilmeldung (http://www.20min.ch/tools/suchen/story/15238315) diese Voraussage. So wurde die Leiche des vermeintlichen Täters in einem Waldgebiet nahe Ollon gefunden. Die Leiche weise Schussverletzungen auf, deren Ursache jedoch noch nicht eindeutig durch die Polizei geklärt werden konnte. Man könne aber von einem Suizid ausgehen. Einsicht der Schussverletzungen am Körper (Form und Winkel der Eintrittswunde), Schmauchspuren an der Tatwaffe, den Händen des Opfers und in der Nähe der Eintrittswunde sowie eine ballistische Analyse des Projektils (Verformung) sollten doch sehr akkurate Resultate über den Tathergang geben können. Dieses Beispiel der deduktiven Aufarbeitung der Tat, der Vorgänge und Motive soll aber zeigen, dass sich psychologisches Profiling nicht immer bewahrheiten muss. Obschon ich mit der Aussage des Psychologen schon von vornherein nicht einverstanden war, basieren diese oftmals auf statistischen Analysen - Oftmals der einzige Halt in solchen Situationen. So mag es zwar gegeben sein, dass eine hohe Prozentanzahl von flüchtigen Tätern keine Selbsttötung anstreben. Trotzdem gibt es eine gewisse Anzahl von Tätern, die lediglich flüchten, um während des Zeitpunkt eines Suizids ein gewisses Mass an "Privatsphäre" erkämpft haben zu können. Das Sterben ist in unserer Gesellschaft halt dennoch etwas sehr privates. Im Rahmen von forensischen Analysen, die wir im Zusammenhang mit Delikten aus dem Bereich der Computerkriminalität anstellen, sind die Umsetzungen von Psychogrammen eine Verständlichkeit. Ähnlich wie bei traditionellen Verbrechen werden auch da Spuren gesichert, gesichtet, ausgewertet und interpretiert. Rückschlüsse auf Tathergang, Motive und soziodemografische Hintergründe des Täters sind in den meisten Fällen sehr wohl möglich. Eine Tatsache, die viele Skript-Kiddies und semi-professionelle Angreifer ausser Acht lassen. Eine zuverlässige IP-Adresse, ein nachvollziehbares Motiv sowie ein solides Täterprofil werden die meisten Richter von der Schuld eines Angreifers überzeugen können. Aber auch beim Profiling in der Computerkriminalität ist man den gleichen Gesetzen der Unberechenbarkeit unterworfen. Es gibt halt einfach Täter, die - wenigstens in einigen Punkten - aus dem Raster fallen. Selbst hochgradig professionelle Angreifer können im Rahmen einer Werkspionage plumperweise NetBus einsetzen. Manchmal ist man als Profiler halt nur in der Lage über Tatsachen zu berichten, die augenscheinlich sind. Das ist in den meisten Fällen dennoch besser, weder vage oder gar komplett fehlerhafte Implikationen umzusetzen, die eine Ermittlung lediglich in die falsche Richtung lenken würde. Ich bin gespannt, inwiefern ich bei einem meiner letzten Psychogramme richtig gelegen habe. Dies werde ich wohl spätestens dann wissen, wenn ich der Täterschaft vor Gericht begegnen werden. Zwischenzeitlich kann ich nur hoffen, dass die internationalen polizeilichen Ermittlungen entsprechend vorankommen. Meine Arbeit ist nämlich soweit erledigt. Wie man im Land von Sherlock Holmes zu sagen pflegt: Abwarten und Tee trinken.