Die Kunst der Kriegsführung Marc Ruef | 05.07.2006 Früher pflegte ich immer zu sagen: "Im Grunde bin ich der aggressivste Mensch der Welt - Aber meine Müdigkeit macht es praktisch unmöglich, dass dieser Wesenszug nach Aussen getragen wird." So ist es auch heute noch. Nur selten sehe ich mich mit einem unkontrollierten Wutausbruch konfrontiert. Sollte ich einmal wütend sein, dann ist es Teil eines durchdachten taktischen Vorgehens. Schon lange interessiere ich mich für strategische und taktische Kriegsführung. Dies umfasst klassische Konflikte aggressiver Natur, wie sie beispielsweise wunderbare durch "Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte" (1900-1920) von Hans Delbrück dokumentiert sind. Oder halt die psychologischen und soziologischen Elemente eines Konflikts, welche eindrücklich durch Erich Fromm in "Anatomie der menschlichen Destruktivität" (1973) zusammengefasst wurden. Aber auch die wirklichen Klassiker der asiatischen Kriegskunst, wie zum Beispiel "Die Kunst des Krieges" von Sun Tsu oder das "Hagakure" von Tsunetomo Yamamoto, sind meines Erachtens nach wie vor lesens- und lernenswert. Mit aufmerksamem Auge und kritischen Blicken lässt sich vieles auch auf die heutige Zeit übertragen. Ich bin leidenschaftlicher Stratege. Als ich in frühester Jugend mit dem Programmieren begonnen habe (QBasic), schrieb ich sehr gerne Wirtschaftssimulationen und entwickelte Algorithmen, die Muster in der Struktur und Verhaltensweise weltlicher Dinge erfassen und illustrieren können sollten. Obschon ich nicht gerne Ordnung halte, liebe ich es, wenn die Dinge eine gewisse deterministische Logik in sich bergen, die mit gesundem Menschenverstand und ein bisschen Deduktion ermittelt werden kann. Sehe ich mich einem wichtigen Konflikt gegenüber, erstelle ich in umfassenster Art und Weise einen Schlachtplan. Auf Papier werden Ziele der jeweiligen Parteien festgehalten. In Psychogrammen fasse ich die charakterlichen Eigenarten der Gegener und involvierter Drittpersonen zusammen. Und in einem Flussdiagramm werden sämtliche Eventualitäten der fortschreitenden Auseinandersetzung skizziert. Die Werkzeuge der formalen Logik und ein Gespür für psychologische Motive helfen dabei, dem Gegner stets einen Schritt voraus zu sein. Bin ich gut vorbereitet, ist der Kampf schon gewonnen, bevor er überhaupt begonnen hat. Grundsätzlich ist es so, dass ich mich nur auf einen Konflikt einlasse, wenn ich in der Lage bin, meinem Gegner mindestens gleich viel Schaden zuzufügen, wie er mir. Ist dies nicht möglich, tu ich es Mahatma Gandhi gleich und leiste - wenigstens im Moment - keinen aggressiven Widerstand. Ein taktischer Rückzug ist in manchen Fällen keineswegs der Beginn einer Kapitulation. Stattdessen kann man sich sammeln und das weitere Vorgehen mit all seinen Auswirkungen kalkulieren. Geduld ist eine Tugend. Und das Wissen darum, wann man nicht kämpfen sollte, macht den wahren Kämpfer aus. Das Hagakure postuliert, dass ein Krieger während keinem Atemzug Schwäche zeigen soll. Dies mache ihn angreifbar und verletzlich. Dem will ich widersprechen. Auch wenn es den Tugenden "Wahrheit" und "Ehre" des Bushido zuwiderläuft, kann das Zeigen (vermeintlicher) Schwächen eine taktisch geschickte Finte darstellen. Ein Stottern in einem Gespräch, das unbeholfene Nachfragen oder das Einstreuen von Rechtschreibfehlern in Briefen können den Gegner in falscher Sicherheit wiegen. Auch wenn diese subtilen Eigenarten gar nicht oder nur unbewusst vom Gegenüber aufgenommen werden: In vielen Fällen lässt sich so die Handlungen anderer direkt mitbeeinflussen. Und das Provozieren von Fehlern erlaubt es, sich selbst eine gute Position erarbeiten zu können. Es gibt wenige Konflikte, die ich mit einer derartigen Leidenschaft ausgetragen habe. In Tat und Wahrheit sind dies gar nur zwei (einer (http://www.computec.ch/news.php?item.117) davon ist noch in vollem Gang). Aber gerne beobachte ich andere Auseinandersetzungen - egal ob auf einer weltpolitischen oder einer privaten Bühne -, um aus ihnen zu lernen. Es gibt Leute, die lösen Kreuzworträtsel oder versuchen sich an Sudoku. Ich bevorzuge das Beobachten von Menschen sowie die Schwierigkeit ihre Verhaltensmuster greifbar zu machen. Wer weiss: Vielleicht werde ich wirklich einmal ein Buch veröffentlichen, das sich mit psychologischer Kriegsführung auseinandersetzt. Dies ist eine Waffe, die seit Menschengedenken mit sich geführt (und bestmöglich nie benutzt) werden sollte.