Laufbahn eines schlechten Informatik-Schülers Marc Ruef | 23.10.2006 Ich mag Computer. Ich mochte sie schon immer. Schon Ende der 80er Jahre habe ich als Kind das eine oder andere Basic-Programm geschrieben. Damals noch auf dem 386er meines Vaters, der mit einem schlichten MS DOS 3.1 (zwischenzeitlich probierte er die kommerzielle Alternative DR-DOS von Digital Research aus) ausgestattet war. Schon sehr früh erkannte ich, dass sich durch die formale Definition der Automatisierung wohlgeformter Probleme diese durch einen Computer viel schneller und effizienter lösen lassen, weder durch einen fehleranfälligen und den enorm einengenden Gesetzen der Natur unterworfenen Menschen. Ein unendlich wertvolles Werkzeug sollte da durch dieses graue Kistchen bereitgestellt werden. Mit 12 Jahren war ich darum bemüht eine Datenbank zu pflegen, in der ich sämtliche Bösewichte aus meinen Lieblingsserien (z.B. Knight Rider und A-Team) samt ihren Eigenschaften und fiktiven Verbrechen zu dokumentieren pflegte. Nach mehreren Monaten hatte ich über 300 Datensätze zusammen, die noch immer auf meine 5 1/2" Disketten passen sollten. Meine Idee war, durch eine Vernetzung der Daten ein Muster erkennen und das Verhalten voraussagen zu können. Eine Methode, die Jahre später in der Kriminalistik, selbst in der Schweiz (http://www.20min.ch/tools/suchen/story/25397883), durchaus zu einem wichtigen Werkzeug wurde. Schon sehr früh die Leidenschaft für deterministische finite Automaten für mich entdeckt, wollte ich immer Informatiker werden. Ohne eigentlich genau zu wissen, was dies bedeuten sollte. Das Studium als Wirtschaftsinformatiker war Mitte der 90er Jahre das einzige, was man sich für mich vorstellen konnte. Eine Laufbahn, die mir aufgrund des Schwergewichts in traditionellen kaufmännischen Bereichen (z.B. Buchhaltung) nicht zusagte. Als extremer Autodidakt wollte ich zudem ungern jahrelang die Schulbank drücken. Ich sah deshalb, nachträglich mit einer gewissen Wehmut, von einem solchen Studium ab. Mit 9 Jahren wollte ich als Alternative die Laufbahn eines Parapsychologen einschlagen. Vor allem die Psychokinese, Poltergeist-Phönomene und Sichtungen von UFOs hatten es mir angetan. Doch die Parapsychologie war wiederum eine Sache, die in ihrer Ernsthaftigkeit, die nach wie vor umstritten ist, ein Studium vorangestellt hätte. Ich wollte einfach nicht mein Leben lang Hausaufgaben lösen müssen. Dennoch war ich stets darum bemüht in der Schule die jeweiligen Informatik-Kurse - einem Nebenfach zu okkulten Phänomenen hätte ich auch zu gerne beigewohnt - zu besuchen. Als ich 15 Jahre alt war, durften wir an einer Projektwoche teilnehmen. Unser Klassenlehrer baute ein Netzwerk mit etwa zehn Macintosh 128k-Rechnern, diese hatten einen monochromen 10" Bildschirm, auf. Zu meinem Erstaunen musste ich feststellen, dass der Kurs totlangweilig war. Stunden haben wir damit verbracht zu "lernen", wie die eine Taste der Apple-Maus zu bedienen war. Und der Rest des übermässig langwierigen Kurses widmete sich dem rechtsbündigen Ausrichten und Zentrieren von Texten in einem Textverabreitungsprogramm namens AppleWorks. Informatik war in diesem Moment wohl etwas vom langweiligsten, was man sich vorstellen konnte. Ich vergnügte mich daher eher damit versuchen herauszufinden, wie das Netzwerk genau funktionierte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nämlich noch nie eines gesehen. Wirklich etwas in Bezug auf AppleTalk zu verstehen habe ich freilich nicht geschafft, denn schliesslich musste ich zwischendurch irgendwelche fiktiven Texte formatieren. Als ich meine kaufmännische Ausbildung zum Reiseberater (http://www.bti-worldwide.com) antrat, musste ich wie jeder Schüler das erste Jahr im Kurs mit dem staubigen Namen Tastaturschreiben sitzen. Die ältere Dame postulierte fortwährend, dass sich der gepflegte Umgang mit dem Computer durch das Nutzen des Zehnfingersystems auszeichnet. Mein ruhiges Naturell hat es vermieden, dass ich bei diesem Nonsense jedes Mal Sturm gelaufen bin. Benutze ich das Zehnfingersystem, um die in der C-Programmierung wichtigen Sonderzeichen zu erreichen, breche ich mir irgendwann die Hände. Als einziger der Klasse, der heimlich keine 30 Sekunden das Zehnfingersystem einsetzte, hatte ich zudem als einziger zweimal im Semesterzeugnis eine 6 - das ist in der Schweiz die beste Note - für fehlerfreies und schnelles Schreiben. Und dies, obschon ich nebenbei Visual Basic 3.0 von Grund auf gelernt hatte. Dies war der eigentliche Profit, den ich von den über 200 Stunden, die ich beim Tastaturschreiben mit Microsoft Windows 3.11 verbracht hatte, nach Hause tragen konnte. Die Zeit war also nicht gänzlich verschwendet. Ein obligatorisches Fach, dem man später ein Jahr beiwohnen musste, war Korrespondenz. Es fand jeweils drei Stunden lang am Donnerstag Nachmittag statt. Ich kann mich noch sehr gut an die erste Stunde erinnern, als der Lehrer uns den ganzen Nachmittag lang und breit erklärte, wie man ein Papier korrekt faltet. Da ich damals eingeschlafen bin, dies ist leider kein Witz, konnte mich der Lehrer wohl das ganze Jahr nicht ausstehen. Er hat mir fortwährend die schlechtere Note weder meinem Banknachbarn gegeben. Und dies, obschon wir uns gegenseitig (in einer Prüfung er mir und in der nächsten ich ihm) abgeschrieben hatten. Ich ignorierte diese Willkür, denn eigentlich hatte war ich fortwährend damit beschäftigt herauszufinden, wie man bei Microsoft Windows NT 4.0 administrative Rechte erhalten konnte. Und auch als ich Kopien sämtlicher Prüfungen schon vor der Durchführung dieser hatte - diese hatte ich "per Zufall" im Netz gefunden -, kriegte ich die schlechten Noten. Na ja, ich hatte wenigstens etwas über Windows gelernt. Zeitgleich wurde in der kaufmännischen Ausbildung auf das Verständnis für Buchhaltung gepocht. Drei Stunden in der Woche musste ich drei Jahre lang irgendwelche fiktiven Geldbeträge auf irgendwelche fiktiven Konten buchen. Ich habe mich standhaft geweigert so zu tun, als handle es sich dabei um eine interessante Angelegenheit. Die Durchschnittsnote lag, abgesehen von jener der Abschlussprüfung, bei 2.5 (das wäre im deutschen Schulsystem eineeine 3.5). Als ich mal wieder die Zeit während der Prüfung dazu genutzt hatte, ein Buch über die Handhabung von Sun Solaris (damals noch primär SunOS genannt) zu lesen und auch entsprechend mit einer vernichtenden Note gestraft wurde, schickte mir der Lehrer kurzerhand bei der Rückgabe der Prüfung, es war gerade mal 8:00 Uhr und noch drei Stunden vor mir, nach Hause. Seine Worte waren: "Herr Ruef, Sie sind zu dumm hierzu. Aus ihnen wird nichts und deshalb gehen sie nun Heim." Das war ein Geschenk Gottes, an den ich aber schon damals nicht mehr so recht glaubte. Ich machte den ganzen Tag blau, marschierte denn in einen abgelegenen Computerladen und kaufte mir dort die neueste Version SuSE Linux 5.3. Auf dem Weg dorthin dachte ich darüber nach, ob ich wirklich dumm sei. Sollte das Gegenteil davon, nämlich Intelligenz, dadurch definiert sein, dass man fiktives Geld anderer Leute verbucht, dann möchte ich gerne dumm sein. Denn diese vermeintlich intelligente Aufgabe konnte ein Computer viel besser weder ich ausrichten. Tags darauf programmierte ich auf meinem neuen Linux-Rechner ein kleines Expertensystem für die Buchhaltung. Meine Noten wurden aber, da das Sun-Buch noch nicht fertiggelesen war, nicht besser. Im Gegenteil: Ich hatte damit nur bewiesen, wie archaisch das ganze Gehabe doch daherkommt. Im letzten Jahr vor der Abschlussprüfung durfte man sich in das Freifach Informatik einschreiben. Ich hatte mich noch nie so sehr gefreut, in die Schule zu gehen. Nun, es waren lediglich 2 Stunden pro Woche, wobei die Noten der Prüfungen noch nicht mal Auswirkungen im Zeugnis haben sollten. Aber ich habe mich amüsiert. Zum einen hatten wir einen sehr unterhaltsamen und zynischen Lehrer, der die Unfähigkeit der Schüler nicht leiden konnte. Mich mochte er aber irgendwie. Wahrscheinlich deswegen, weil ich den Unterricht nicht gestört habe, da ich anstelle stupider Excel-Formeln (if(); sum(), average(), ...) lieber irgendwelche TCP/IP-Pakete übers Netz gejagt habe. Damals wurden die Schulungsräume endlich mit dem Internet verbunden, doch nur der Lehrer konnte durch das Freischalten auf dem Proxy den Zugang erlauben. Im Netzwerk wurden pro Schulungsraum ausschliesslich Hubs verwendet und die Authentisierung auf dem Proxy fand über HTTP statt. Wie man einen Sniffer herunterlädt, installiert und auswertet, wusste ich schon damals. Also nutzte ich die Zeit irgendwann primär für das Lesen und Übersetzen irgendlwecher RFCs sowie der Rainbow-Books (http://en.wikipedia.org/wiki/Rainbow_Series). Nachträglich muss ich sagen, dass ich die Schule mochte. Wohl aber auch nur deswegen, weil ich mich um das Lernen, was mir nicht gelehrt werden konnte, bemüht habe. Nur das wenigste würde ich anders machen. Dennoch oder gerade deswegen war ich ein schlechter, ein ganz schlechter Schüler. Selbst im Informatik-Unterricht, den ich doch eigentlich so hätte mögen sollen. Doch eigentlich war ich nur aus Sicht der Lehrer ein schlechter Schüler. Diese sahen sich wohl vorwiegend damit überfordert, mit einem begeisterten und kritischen Schüler richtig umzugehen. Anstelle ihn zu fördern hat man ihn zur Raison bringen wollen. Daran haben sich bei meinem Dickkopf nicht wenige Lehrer die Zähne ausgebissen. Ich habe Lehrer nie terrorisiert, höchstens in ihrer Einfältigkeit, die wohl auch durch den idiotischen Lehrplan erzwungen wurde, bemitleidet. Diese Geschichte soll keinesfalls eine Legitimierung des anarchistischen Verhaltens im Schulunterricht sein. Letzterer ist von ungemeiner Wichtigkeit und der Wert eines guten Lehrers nicht zu unterschätzen. Doch sollte sich der Schüler stets bewusst sein, dass das Lernen des Denkens nur bedingt im regulären Schulunterricht erfolgen kann. Dieser ist nämlich, leider noch immer, viel zu sehr auf das Nachplappern und Nachäffen bedacht. Bildung ist das was übrig bleibt, wenn man alles auswendig gelernte wieder vergessen hat.