Kreuzworträtsel, Sudoku, forensische Untersuchungen Marc Ruef | 04.12.2006 Mein Grossvater, er war ein leidenschaftlicher Elektroingenieur, hatte eine Vorliebe für Kreuzworträtsel. Als meine Mutter arbeitete und ich jeweils nach der Schule zu meinen Grosseltern ging, studierte er fortwährend seine dicken Bücher, die mit derlei Aufgaben gefüllt waren. Ich selbst, obschon ich einige Charakterzüge meines Grossvaters geerbet habe, bin kein sonderlich begabter Krezworträtsler. Meines Erachtens sind die jeweiligen Beschreibungen, weiss man denn das Resultat nicht sowieso mit absoluter Bestimmtheit, zu knapp. Und wieso sollte ich auf einem Blatt Papier Dinge aufschreiben, die ich weiss. Das ist langweilig und mühselig. Das Spiel Sudoku geniesst seit einigen Jahren eine enorme Popularität. Dabei wissen nur die wenigsten, dass der Vorgänger ursprünglich vom schweizer Mathematiker Leonhard Euler (siehe Königsberger Brückenproblem) im achtzehnten Jahrhundert unter dem Namen "Carré Latin" entwickelt wurde. Zu meinem Erstaunen liegen mir diese Spielereien sehr gut. Vielleicht deswegen, weil ich schon in meiner Kindheit die Idee des Magischen Quadrats sehr unterhaltsam fand. Aber auch hier ödet es mich an, unsinnigerweise ein eher banales "Problem" zu lösen. Stattdessen schlafe ich viel lieber oder denke über einen effizienten Algorithmus nach, durch den der Lösungsprozess automatisiert werden kann. Was ich aber ganz besonders mag, sind exotische Probleme, die auf den ersten Blick keine verständliche Struktur aufweisen. Seit einigen Monaten finde ich in zyklischen Abständen immerwieder leere Zigarettenpäckchen - bisher insgesamt drei Stück - in meinem Briefkasten. Ganz besonders als Verfechter der Nichtraucher empfinde ich die Zweckentfremdung meines Eigentums als freche Unfreundlichkeit. Nun wollte ich mal sehen, wie gut meine Kennentisse in angewandter Forensik und Psychopathologie sind. Die drei W-Fragen, denen ich in der Hinsicht auf den Grund kommen wollte, sind: Wer war es, wie tat er es und wieso tat er es? Das Brieffach meines Briefkastens weist ein Volumen und damit eine Grundfläche auf, die der DIN EN 13724 Baunorm gerecht wird. Als erstes fiel mir auf, dass das Corpus Delicti jeweils an derselben Stelle in meinem Briefkasten zu finden war. Nämlich rechts hinten (aus Sicht eines Postboten wäre dies der Quadrant 1, siehe Abbildung). Da der Schlitz für Briefe durch eine Feder relativ schwer einzudrücken ist, braucht man für den Einwurf in der Regel (ohne sich zu verletzen) zwei Hände. Ich stellte also die Überlegung an, dass der Täter mit der linken Hand den Schlitz eindrückte und den Fremdkörper zwischen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand zwecks Einwurf einklemmte. Dies wäre das typische Verhalten, welches ein Rechtshänder an den Tag legen würde. Und auch die Position, an der das Päkchen zum Erliegen kommt, ist dabei eben die gegebene. Der Wurf erfolgt dabei quasi in der Drehrichtung des Uhrzeigersinns - Ganz im Gegensatz bei einem Linkhänder, der die Aktion spiegelverkehr durchführen und das Päkchen deshalb Richtung Quadrant 2 schleudern würde. centerimghttp://www.computec.ch/_images/newspost_images/briefkasten-forensik_einwurf.gif/img /center Dass ich mit meiner Rechtshändertheorie sehr einfach eine gute Grundlage schaffen würde, war sowohl statistisch als auch empirisch bewiesen. Schliesslich werden 85 bis 90 % der hiesigen Bevölkerung als Rechtshänder erfasst. Auch die Untersuchung des Zigarettenpäkchens hat ergeben, dass es sich beim Täter um einen Rechtshänder handeln müsste. Die Fingerabdrücke, die ich festhalten konnte, liessen die Handstellung des Einwurfs erkennen. Dabei war es mir zwar nicht möglich, schöne Abdrücke extrahieren zu können. Das Päkchen war übersät mit partiellen und verschmierten Abdrücken, weshalb sich eine Isolation einzelner Finger als schwierig erwies. Es war jedoch auch nicht in meinem Ermessen, da ich sie ja sowieso nur in mühsamer Arbeit mit dem Täter in Verbindung bringen konnte. In meinem Wohnblock leben insgesamt acht Mieter (inkl. ich), von denen mir vier als Raucher bekannt sind. Das Rentnerehepaar kommt wohl kaum in Frage, obschon der Ehemann raucht. Er ist übrigens linkshänder und zu nett, alsdass er sich eine solche Frechheit erlauben würde. Es bleiben noch der Junggeselle in meinem Alter, dessen Führerausweis entzogen wurde (Warum sonst sollte sein silbener BMW über vier Monate nie gefahren werden?). Und da gibt es noch eine junge Nachbarin, die sich jedes Mal erschrickt, wenn sie mich sieht. Einmal, es war während der letzten Fussballweltmeisterschaft, funktionierte mein Fernsehempfang nicht richtig und ich ging sie fragen, ob sie ein ähnliches Problem habe. Als sie mir Tür öffnete, sah sie mich an, als würde ich sie jeden Moment ausrauben wollen. Und dabei trage ich doch gar keinen Bart mehr. Und da ist natürlich noch der Jugendliche serbischer Herkunft, der vor etwa einem Jahr heimlich zu rauchen angefangen hat. Die Differentialdiganose führte ich der Einfachheit halber mit der verschreckten Nachbarin fort. Sie trägt immer eine Handtasche (mir gefallen sie nicht!), wie es halt die meisten Damen zu tun pflegen, bei sich. Die Abnutzung der eingesammelten Zigarettenpäkchen war besonders an den Seiten und Ecken sehr gross. Dies rührt, so dachte ich mir, vom Tragen in einer eher engen Hosentasche her. Wären die Päkchen in einer grösseren Handtasche transportiert worden, wären sie weitaus weniger geschunden. Der Täter ist also voraussichtlich männlich und trägt vorwiegend eher harte Jeans (im Gegensatz zu Buntfaltenhosen). Die Briefkasten vor unserer Haustür sind in drei Reihen à jeweils 3-2-3 Stück angeordnet. Meiner befindet sich, beginnt man links oben mit zählen, an der zweiten Stelle (also in der Mitte der oberen Reihe; siehe Abbildung). Er ist ziemlich genau auf meiner Augenhöhe, also der Schlitz auf etwa 1,75 cm. Das ist relativ hoch und der Einwurf für eine Person kleiner als 1,80 cm gestaltet sich doch relativ mühsam. Die Hände müssen eindeutig über die Schultern gehoben werden. Dies ist sehr unkomfortabel, weshalb eine Person geringerer Grösse die untere Reihe für einen beiläufigen Abwurf des Abfalls vorziehen würde. Der Junggeselle ist, ich schätze etwa 1,70 cm, bedeutend kleiner als ich. Damit ist er selbst kleiner als der Jugendliche, der wohl auf rund 1,80 cm kommt. centerimghttp://www.computec.ch/_images/newspost_images/briefkasten-forensik_anordnung.gif/img /center Es erscheint unsinnig, dass eine Person, die den Wohnblock betritt oder verlässt, die Zigarettenpackung auf dem Weg wegwirft. Einfacher und komfortabler ist es, diese doch einfach im heimischen Müll zu entsorgen. Es liegt nahe, dass der Jugendliche dies vermeiden will, damit seine Mutter von seiner schlechten Angewohnheit nichts mitbekommt. Die gerauchte Marke ist Parisienne. Der Teer- und Nikotingehalt ist verhältnismässig niedrig (Teer 4mg / Nikotin 0,4 mg), weshalb diese Marke in der Schweiz vorwiegend von Einsteigern, Jugendlichen und (jungen) Frauen geraucht wird. Die Indizien verdichten sich also. Er ist übrigens rechtshänder, obschon dies statistisch gesehen keine verlässliche Identifikation darstellt. Das Verschwindenlassen des Beweisstücks wird sodann vor dem Eintreffen der heimischen Wohnung erforderlich. Die dazu erforderlich Bewegung ist vor allem beim Heraustreten, man müsste sich nach rechts wegdrehen, nicht im Vorbeigehen realisierbar. Beim Eintreten in den Eingang hingegen sieht die Sache einfacher aus. Leider leere ich meinen Briefkasten sehr selten. Manchmal dauert es mehrere Wochen, bis ich mir die Zeit nehme. Ich weiss, dass dies nicht gerade optimal ist (man hat mir zwar schon lange den Strom nicht mehr abgestellt), aber dafür habe ich die schlechte Angewohnheit des Rauchens nicht. Die Auswertungen meiner Briefkastenleergewohnheiten liessen den Rückschluss zu, dass die Päkchen jeweils entweder an einem Mittwoch oder an einem Donnerstag eingeworfen werden. Per Zufall habe ich beim Durchstöbern meines Kellers (ich habe einen guten Wein gesucht) mitbekommen, dass der Jugendliche bis vor kurzem am Donnerstag ins Fussballtraining ging. Dass er auf dem Heimweg des Trainings, vielleicht unter dem Beiwohnen seiner Kollegen, ein paar Zigaretten geraucht hat, scheint naheliegend. Die Chance, dass das Päkchen in diesem Moment des intensiven Konsums leergeraucht wird, ist gross. Ich hätte unter Umständen nun die Möglichkeit, die Fingerabdrücke auf den gesammelten Zigarettenpäkchen mit denen, die sich an der Wohnungstür der besagten Familie finden lassen, zu vergleichen. Soweit möchte ich jedoch nicht gehen. Vor allem deswegen nicht, weil mich ausschliesslich die deterministische und deduktive Denkarbeit an diesem Spiel fasziniert hat. Diese scheint soweit erledigt zu sein, denn die zu Beginn gestellten Fragen lassen sich beantworten. Jedenfalls werde ich, sollte ich dem jungen Herrn wieder einmal begegnen, ihm seine Zigarettenpäkchen zurückgeben oder halt wenigstens darum bitten, dass er sie doch bei meinen Nachbarn entsorgt (Die Flüchtlingsfamilie aus Pakistan leert ihren Briefkasten schliesslich zwei Mal pro Tag!). Und bei der Gelegenheit werde ich ihn auch gleich fragen, ob er gerne Sudokus löst. Schliesslich wäre dies eine nützliche Kompensation zum schädlichen Paffen...