Grossschwätzen für Dummies Marc Ruef | 11.12.2006 Friedrich W. Nietzsche provozierte mit einem Aufsatz namens "Ecco Homo". In diesem trägt er vor, wie sehr und warum er doch der Beste ist. Anhand einleuchtender Beispiele, die jedoch in der Praxis schwer umzusetzen sind, wird seine Überwindung der Menschlichkeit dargestellt. Ich bin noch immer der Meinung, dass Nietzsche diese Arbeit mit einer gewissen Selbstironie und Verbittertheit über sein verletzliches und verletztes Wesen erarbeitet hat. Wie in all seinen Werken meine ich die Tragik seines Lebens herausspüren (z.B. der verlorene Prophet Zarathustra in "Also sprach Zarathustra") zu können. Sich selber wichtig nehmen ist aber in einer durch Leistungsdruck geprägten Gesellschaft schon fast gewollt. Das wird dann Selbstvertrauen genannt und als Grundlage für Erfolg angesehen. Damit ist eine Generation an Dumm- und Grossschwätzern geboren, die sich bei näherer Betrachtung eigentlich mit ihren selbstüberschätzenden Parolen der Lächerlichkeit preis geben. Ich selbst bin jemand, der keine Scheu hat, über sich selber zu reden (oder zu schreiben). Ich erfreue mich daran, Gedanken zu sortieren und das Schreiben ist ein ausgezeichneter Weg, um sich dieser Aufgabe anzunehmen. Die Klarheit der Dinge ist für mich nämlich meist nur nach einer Ordnung derer ersichtlich. Ich bin halt ein einfacher Mensch, der dem gedanklichen Chaos nur durch eine gepflegte, meistens in höchstem Masse lineare, Aneinanderreihung Herr werden kann - Falls überhaupt. Rede ich über mich, was ich getan habe, pflege ich dies sehr reduziert zu tun. Fragt mich ein Arbeitskollege, was ich gestern Abend gemacht habe, sage ich vielleicht: "Ich habe mich am Schreiben eines Pufferüberlauf-Exploits versucht. Eine höchst interessante Angelegenheit!" Kurz und bündig habe ich jene Informationen vorgetragen, die von meinem Gegenüber von primärem Interesse sein können. Andere Leute pflegen jedoch derlei Situationen zu nutzen, um ihre vermeintliche Begabtheit zur Schau zustellen. Anstelle eines Pufferüberlauf-Exploits werden im gleichen Satz noch eine Vielzahl anderer, von der logischen Gewichtung niederer, Begriffe eingesetzt: "Der von mir geschrieben Pufferüberlauf-Exploit ging auf einen Off-by-One Fehler in einem Kernel-Prozess zurück, durch den ich das niederwertigste Byte des Pointers überschreiben und damit meinen mit XOR codierten NOP-Shellcode doch noch ausführen konnte..." Alles in allem interessante Informationen, die jedoch, um sie im Kontext richtig verstehen zu können, noch weitere Erklärungen zur Situation bedürfen. Ein solch hohes Interesse vom Gegenüber zu erwarten, grenzt dann fast an überhebliche Arroganz. Diesen Satz auswendig zu lernen ist einfach. Ihn bei der nächstbesten Diskussion zu Pufferüberlauf-Schwachstellen wiederzugeben ebenso. Hochstapler mit besonderer Auffassungsgabe machen sich ihren Vorteil zunutze, um mit genau solchen Wortkonstrukten ihr vermeintliches Wissen präsentieren zu können. Eine willkürlich anmutende Aneinanderreihung von Fachbegriffen, deren Definition sehr schwierig ausfallen, ist die Folge davon. Selbst Spezialisten, die sich mit dem Fachgebiet auseinandersetzen haben manchmal Mühe, eine derartige Hochstapelei entlarven zu können. Die Leute, die noch weniger Ahnung haben, sind hingegen zutiefst beeindruckt. Oder was ist wohl damit gemeint: "Als ich Level 60 wurde, habe ich mit meiner Gilde einen 40er Raid in Naxx durchgeführt. Als der Hunter dort einen Pull machen wollte, hat er aufgrund des erhöhten Aggro-Radius einige Elite-Mobs gezogen, den Raid damit zum wipen gebracht und deshalb die Rep-Kosten in die Höhe getrieben. Und alles nur wegen ein paar Random-Dops!" Klingt nach einer hochkomplexen Situation - Doch eigentlich ist es nur eine typische Szene aus dem Online-Spiel World of Warcraft (WoW). Vor allem Verkäufer und auch im Grunde überforderte Entscheidungsträger eignen sich wie Papageien derartige Phrasen-Konstrukte an. Bei näherer Betrachtung fällt früher oder später aber immer auf, dass es sich um sprachliche und damit oftmals auch logische Satzmonster handelt, die lediglich durch ihre Unsinnigkeit bestechen können. Oder was soll man denken, wenn jemand sagt, dass für ihn eine Cross Site Scripting-Attacke nichts schlimmes ist, weil der Webserver keinen Java-Code ausführen kann, da dort keine JVM installiert ist? Ein netter Satz, der, genauso wie der Sprechende selbst, auf technischer Ebene total bescheuert ist! Jonathan Postel, langjähriger Betreuer der RFCs, schrieb einmal: "Sei zurückhaltend in dem was Du sagst und offen in dem was Du hörst." (leicht abgewandelte Fassung) Genau so halte ich es, wenn ich jemandem etwas erzähle. Ich erzähle primär das, was ihn interessieren könnte. Bemerke ich, dass noch weiteres Interesse für zusätzliche Details besteht, lege ich gerne nach. Damit wird verhindert, dass mein Gesprächspartner gelangweilt, überfordert oder eingeschüchtert wird. Frei nach dem kategorischen Imperativ von Immanuel Kant: Behandle die anderen so, wie Du auch von ihnen behandelt werden möchtest.