Schlafwandeln im Internet Marc Ruef | 03.12.2007 Eigentlich sollte ich schlafen. Es ist schliesslich mitten in der Nacht und die Abwesenheit der Sonneneinstrahlung verrät mir unweigerlich, dass ich in meinem Bett liegen und die Ruhe geniessen sollte. Stattdessen sitze ich hier. Dafür verantwortlich sind Kopfschmerzen. Dieses ewige Hämmern in meinem Schädel verhindert es, dass ich mich hinlegen darf. Verdammter Kopf. Nun, wenn es Draussen dunkel ist und man nicht schlafen kann, lohnt sich, nach einem Abstecher zum Kühlschrank, der Besuch des Fernsehers. Um diese Uhrzeit kann man aber selbst mit Digital-TV nur nackte Weiber oder nervtötende Quizsendungen (optional kombiniert!) bewundern. Auf beides habe ich - ja, dies betrifft auch ersteres (Stichwort Kopfschmerzen) - keine Lust. Für Ratchet & Clank auf der PS3 fehlen mir gerade die Nerven. Also ab vor den Computer. Praktisch jede freie Minute arbeitete ich die letzten Tage an httprecon (http://www.computec.ch/projekte/httprecon/). Bei diesem Projekt soll eine umfassende Applikation zur Realisation von erweitertem Webserver-Fingerprinting gewährleistet werden. Ich bereite gerade den ersten Release vor. Um diesen mit einer Vielzahl an Fingerprints veröffentlichen zu können, durchkämme ich das Internet nach entsprechenden Implementierungen. Gegenwärtig nutze ich das Google Hacking, um bündelweise neue Server-Produkte erkennen und erfassen zu können. Die Datenbank von Johnny (http://johnny.ihackstuff.com/ghdb.php) ist noch immer gut und immerwieder für Spässe zu haben. Als ich gerade die Implementierungen zu AXIS Video Server, ein mit der entsprechenden Kamera mitgelieferter Streaming-Server, untersuchte, fiel mir etwas auf. centerimghttp://www.computec.ch/_images/newspost_images/ueberwachung_im_internet.jpg/img /center Ich landete auf irgendeinem System, das mir Zugriff auf vier Cams bereitstellte. Ich sah eine dunkle Tiefgarage, eine belebte Passage, einen stark frequentierten Eingangsbereich und Bus-Parkplätze. Im Eingangsbereich konnte ich über dem Schild des Manns mit dunklem Schnurrbar die Worte "Caja Banos" lesen. Dies heisst so viel wie "Eingang", hat mir jedenfalls Google verraten. Eine whois-Abfrage für den IP-Adressbereich des Servers zeigte mir, dass er in Uruguay stand. Amerikaner würden hier eventuell wieder einen Witz über das Land mit dem lustigen Namen machen - Ich bin jedoch zu müde dazu. Wie gebannt starrte ich auf die Kameras. Leute gehen durch den Eingang. Manchmal bildet sich eine Schlange von vier bis fünf Leuten. Alle haben Taschen, manche gar Rucksäcke dabei. Vor allem die europäisch erscheinenden Leute reisen mit ihren grossen "Backpacks". Eine Dame scheint etwas vergessen zu haben, denn sie ist eine der wenigen, die aus dem Eingangsbereich wieder herauskommt. Sie sieht ganz hübsch aus. Und auch hier fällt mir auf, dass aus Asiaten bestehende Gruppen stets mit Fotokameras herumrennen. Klischées kommen eben nicht von ungefähr. Manche Leute haben übrigens einen sehr sonderbaren Farbgeschmack, was die Bekleidung betrifft. Wie kann man bloss grüne Hosen anziehen? centerimghttp://www.computec.ch/_images/newspost_images/ueberwachung_im_internet2.jpg/img /center Wissen die Leute, dass ich ihnen am anderen Ende der Welt zuschaue, wie sie in ihren Taschen wühlen, sich schön artig einreihen und die Nase putzen? ... Ich glaub da hat gerade einer gepopelt! Irgendwie pervers, was ich hier mache. Für Voyeurismus habe ich eigentlich nicht viel übrig. Die erste Staffel von Big Brother habe ich nur sporadisch geguckt, weil es mich soziologisch, psychologisch und kulturell interessiert hat. Die Leute selbst waren mir eher egal - Viel mehr wollte ich das Gefüge als solches betrachten. Ist es ebenfalls Voyeurismus, wenn man sich im Sommer in ein Strassencafé setzt und den Leuten beim Flanieren zuschaut? Bei meinem letzten Aufenthalt in Paris habe ich dies jedenfalls sehr genossen. Na ja, vielleicht bin ich in der Hinsicht doch ein kleiner Voyeur. Doch auch hier bin ich darum bemüht, die Privatsphäre des anderen zu respektieren. Schliesslich gehen mich viele Dinge nichts an. Und dabei belasse ich es dann auch. Mittlerweile bin ich übrigens ziemlich müde. Der kleine Mann mit dem kleinen Hammer in meinem kleinen Kopf hat sich nun in sein kleines Bettchen gelegt. Das bedeutet, dass auch ich mich schlafen legen darf. Aber ganz vorsichtig. Sonst wacht er noch auf. Oder noch schlimmer: Die Leute im Internet könnten was davon mitkriegen! Gute Nacht!