"Techniker? Ha ha, was weiss der schon?!" Marc Ruef | 10.03.2008 iDiese Geschichte mag durchaus umstritten sein. Ich bin gar kein Fan davon, anderen Leuten absichtlich Leid zuzufügen. Dennoch kann ich den psychologischen und emotionalen Nutzen von Vergeltungsaggression verstehen./i Irgendwie fand ich Leute mit Bart immer cool. Nicht aus rebellischen Gründen. Ein Bart muss meines Erachtens gepflegt werden. Es gibt wohl nichts hässlicheres, weder einen ungepflegten Bart. Viele grossen Helden hatten lange und coole Bärte. Sigmund Freud hatte einen schönen Bart, Albert Einstein einen lustigen Schnautzer und Grossväterchen Nietzsche ebenso. Und dann gibt es da noch Richard M. Stallman (obwohl sein Bart etwas ungepflegt wirkt) und Bruce Schneier (sieht manchmal aus wie Chuck Norris). Auch ich trage vorwiegend Bart. Mittlerweile eher kürzer, da er sich einfacher pflegen lässt. Zudem fahren die Frauen eher auf einen 3-Tage Bart ab. Früher ging ich jedoch eher in Richtung Stallman: Lange Haare, langer Bart, fade Kleidung. Ich sah also aus wie der Prototyp des Kernel-Hackers. Und so wurde ich auch von vielen wahrgenommen. Doch leider nicht in positivem Sinn. Die meisten Menschen sehen in einem sodann lediglich einen jungen Geek mit beschränktem Horizont, der das Wesen Frau höchstens von seinem Pr0n-Folder (immerhin 120 GByte!) her kennt. Immerwieder ist es mir dann passiert, dass die gut gekleideten Projektleiter mit ihren unbequemen Schuhen abfällige Bemerkungen vortragen. Schliesslich ist man ja nur ein junger Schnösel, der abgesehen von Linux nichts kennt, was er nicht selber auch viel besser kennen würde. Zu Beginn habe ich mich über dieses Aufhalten an Äusserlichkeiten aufgeregt. Doch irgendwann machte ich mir einen Spass daraus, den schlacksigen Techniker mit seiner naiven und eingeschränkten Sichtweise zu mimen. Bei Verhandlungen gibt einem dieser Columbo/Monk-Modus einen guten Vorteil: Das Gegenüber beginnt Fehler zu machen, einem zu unterschätzen und mit einfachen Vorwänden in eine vorhersehbare Falle zu locken. Die Kunst des Sich-Dumm-Stellens ist, dies in jeder Lebenslage durchzuziehen. Also auch dann, wenn man einer Falle des Gegenübers entwischt ist. Es ist machmal gar nicht so leicht so zu tun, wie wenn man nur per Zufall eine wirtschaftlich gute Entscheidung getroffen hat. Schlussendlich bleibt es aber unbezahlbar zu sehen, wie sich der Kontrahent umso mehr innerlich über diese vermeintliche Zufälligkeit zu seinen Ungunsten ärgert. Vor vielen Jahren, ich war damals in einem kleinen Assessment-Team tätig, habe ich eine ulkige Geschichte erlebt. Ein schmieriger Projektleiter, der mir von der ersten Sekunde an suspekt erschien, liess sich bei einem Kunden über meine Arbeit aus. Er behauptete, dass die Verzögerung des Projekts aufgrund meiner Unzulänglichkeit zustande kam. Dem war jedoch nicht so. Fristgerecht habe ich meine Arbeit geliefert. Diese blieb aber scheinbar auf seinem Pult liegen. Per Zufall stolperte ich gerade in sein Büro, als er den Kunden mit den falschen Argumenten besänftigen wollte. An der Veränderung seiner Stimme und dem schwerfälligen Suchen der richtigen Worte erkannte ich, dass meine Anwesenheit in unmittelbarem Zusammenhang sein sollte. Da stand ich nun. Wie immer schaute ich mich verwirrt um und wartete, bis das Telefonat beendet schien. Irgendwas brauchte ich nämlich. Insgeheim dachte ich aber darüber nach, welchen Streich ich dem armen Tropf spielen könnte. Und mir fiel da was ein... Die jeweiligen Workstations des Nicht-technischen Personals waren mit Microsoft Windows 2000 ausgestattet. Erst kurze Zeit zuvor erschien ein handlicher Denial of Service-Exploit namens smbdie. Mit diesem war es möglich, in klassischer WinNuke-Manier ein System mittels Bluescreen zum Absturz zu bringen. Einige Linux-Server im Netzwerk wurden für meine Auswertungen eingesetzt. Zusätzlich sollten sie mit einem fiesen cron-Job darum bemüht sein, den Rechner des in Ungnade gefallenen Projektleiters alle paar Stunden abstürzen zu lassen. Ich sass gespannt in meinem Stuhl und wartete auf die erste Reaktion meines virtuellen Streichs. Diese liess nicht lange auf sich warten. Zu meinem Erstaunen hatte schon der erste Aufschrei etwas Verzweifeltes an sich. Ich rechnete mit dieser Färbung erst beim dritten oder vierten Neustart des Systems. In der Tat musste ich mich konzentrieren, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen und spöttisch um seinen Tisch herumzutanzen. Na ja, ich ignorierte sein Geschimpfe, das er dem bösen Computer entgegenbrachte. Dieses Spiel wiederholte sich noch ein paar Mal. Das Geschimpfe wurde zwar nicht lauter, doch immer vulgärer. Dies war besonders lustig, denn ich liebe es, wenn frisch rasierte Menschen im Anzug ihre Beherrschung verlieren. Es hat soetwas anarchistisches und selbstironisches ansich. Ich freute mich jedes Mal wie ein Schneekönig. Es machte meinen Alltag sehr unterhaltsam, denn wie ein Uhrwerk begann das Geschimpfe von vorn. Ich wollte irgendwann schon die Uhr auf meinem Tisch wegräumen, denn die bräuchte ich ja nun nicht mehr. Etwa beim sechsten Bluescreen rief der Herr Projektleiter, dass ein Techniker zu ihm kommen solle. Ich ignorierte diese Aufforderung - Wenn ich in was gut bin, dann im Ignorieren. Also musste ein anderer Bartträger den verhassten Onsite-Support leisten. Mein Leidensgenosse war in den Spass eingeweiht und wusste deshalb, dass die einfachste Lösung das Entfernen des gemeinen cron-Jobs auf unserer Linux-Kiste war. Trotzdem tat er mit genüsslicher Freude so, wie wenn er in der Eingabeaufforderung eine Reihe äusserst komplexer und brillianter Eingaben tätigen würde. Nach etwa 5 Minuten wildem Herumgehacke (so viele Kommandos hat cmd.exe doch gar nicht!) sagte er mit einer unendlichen Ernsthaftigkeit, wie wenn er soeben eine 10-stündige Herzoperation durchgeführt hätte: "Okay, das Problem ist gelöst." Ich wusste, dass ich nun mein smbdie-Skript abschalten sollte. Überschwänglich wie noch nie bedankte sich der Projektleiter bei seinem Helfer. Die Welt schien in Ordnung und die Gerechtigkeit wieder hergestellt. Schade nur, dass etwa 2 Tage später dies alles wieder vergessen war und dem bärtigen Volk erneut Hohn und Spott entgegengebracht wurde. Mittlerweile befand ich mich in gekündigtem Verhältnis mit meinem damaligen Arbeitgeber und war nicht mehr wirklich daran interessiert, die Mitarbeiter zu konditionieren. Um einen guten Streich bin ich aber auch heute noch nicht verlegen...