Von der Mündigkeit in die Abhängigkeit Marc Ruef | 02.06.2008 Schon oft habe ich mir die Frage gestellt, wann jemand erwachsen ist. Erwachsensein bedeutet in unserer Gesellschaft, dass man vollumfänglich Verantwortung für sein Tun und Handeln übernimmt. Der offizielle Übertritt ins Erwachsenenalter sieht man in unseren Bereitengraden mit 18 Lebensjahren vor. Doch als ich selbst 18 Jahre alt wurde, wusste ich, dass ich eigentlich noch gar nicht erwachsen bin. Der Rebell in mir, zwar mittlerweile etwas ruhiger geworden, sah sich noch immer durch seine kindliche Neugierde getrieben. Mich auf die Werte der "anderen Erwachsenen" abzustützen, erschien mir eher wie Frevelei vor meiner eigenen nihilistischen Ethik. Sieht man sich ein bisschen um, so kann man beobachten, dass es vielen anderen nicht anders geht. Sobald sie ihre Mündigkeit verliehen bekommen, werfen sie sich in die nächste Abhängigkeit. Sobald man eigene Entscheidungen treffen könnte, will man sich den Entscheidungen anderer unterwerfen. Es ist ja so viel einfacher, jemandem zu folgen, ohne sich selbst um Konsequenzen und Nebeneffekte kümmern zu müssen. Immer mal wieder bekommt Microsoft ein Bussgeld (http://www.20min.ch/news/wirtschaft/story/23143865) auferlegt. Weil sie irgendwelche Codeteile komplex gestalten und damit die Konkurrenz darin behindern, kompatible Systeme zu schaffen. Oder weil sie Applikationen wie den Internet Explorer oder den MediaPlayer tief in ihr Betriebssystem vergraben. Das geht ja nicht, wenn Gott von dieser Frevelei wüsste! Ich schäme mich für meinesgleichen ... Oder doch nicht? Microsoft ist ein Unternehmen. Dieses stellt ein Produkt her. Die Leute haben das Produkt gekauft, weil sie dachten, dass es gut ist. Ob dem so ist oder nicht, steht hier nicht zur Diskussion. Microsoft ist nicht auf den Kopf gefallen und so versuchen sie ihre Kunden an sich zu binden. Indem sie diese von den eigenen Produkten und den exklusiven Kompatibelitäten abhängig machen, können sie die nächsten fünf Jahre auch noch Office 2013 und Windows Expensia an den Mann bringen. Der Kunde kaufts ja. Microsoft beherrschte in den 90er Jahren das Spiel des Kapitalismus wie kein anderer. Das Spiel konnten sie aber nur spielen, weil die Käufer mitgespielt haben. Und nun beklagen sich die Käufer darüber, dass sie im Spiel angeblich unterlegen sind. Dies ist nicht wahr, denn die Mündigkeit hätte halt dazu genutzt werden sollen, sich kritisch gegen den wachsenden Branchenriesen zu stellen und Alternativen wahrzunehmen. Aber es war halt viel einfacher, eine Lizenz für Windows Server 2003 zu kaufen, anstatt das Geld in die Ausbildung der Administratoren zu investieren. Letztere sind ja auswechselbar. Der Thron von Microsoft bröckelt seit etwa fünf Jahren. Es sind andere gekommen, die das Spiel ebenfalls mitspielen wollen und können. Allen voran Google, die mit ihren Datamining-Projekten die Informationsquelle schlechthin aufgebaut haben. Wo geh ich hin, wenn ich Mailadressen kaufen will? Wo geh ich hin, wenn ich aktuelles Kartenmaterial brauche? Wo geh ich hin, wenn ich Emails mitlesen will? Google hat die Antwort. Kaum einer hätte es vor 10 Jahren geglaubt, aber Apple hat sich wie der Phönix aus der Asche erhoben. Durch kultige Produkte und einem Mehr an Ergonomie konnten sie die breite Masse für iPod und iPhone mobilisieren. Eine wahre Apple-Hysterie, die schon fast al Religiösität grenzt, ist ausgebrochen. Jedes Medium hat sich dazu hinreissen lassen, Gratiswerbung für das neue Telefon zu machen - Welche Firma kann das schon von sich behaupten (noch am ehesten Sony mit der Playstation 3). Obschon Insider davon frühzeitig berichteten, dass es nur einmal mehr schön verpackter Technoschrott ist. Egal, es sieht schick aus und "it's hot". Also wirds gekauft. Auch Apple ist zunehmends darum bemüht, die treue Gefolgschaft durch eine irreversible Abhängigkeit zu versklaven. Der iPod kann nur mit dem schwerfälligen und proprietären iTunes bespielt werden, obschon offene Standards eine weitaus komfortablere Moderation der Archive erlauben würde. Und ausserdem wird da nur die DRM-Geissel aus dem eigenen Haus unterstützt. Und auch in Zukunft wird man sich in jeglicher Hinsicht darum bemühen, die proprietären Schnittstellen so abzuschotten, dass der Rubel nur noch in die eigene Kasse rollt. Ich prophezeie, dass in 5-10 Jahren der gleiche Neid bezüglich des Erfolgs dem Apple-Konzern entgegenschlagen wird, den Steve Ballmer seit der Ablösung von Bill Gates am eigenen Leib (und den jeweiligen Quartalszahlen) zu spüren kriegt. Der Mensch ist ein Herdentier, das sich von einer Abhängigkeit in die nächste begibt. Schade, denn die Evolution der Technik - damit ist in erster Linie die ergonomische Schnittstelle zum Menschen gemeint (um diesen geht es schliesslich!) - wäre viel weiter entwickelt, wäre da dieser blöde Kapitalismus nicht. Branchenriesen schaffen sich nicht selber, sie werden geschaffen. Sich am Schluss - wenn es zu spät ist - darüber zu beklagen, ist alles andere als erwachsen. Das weiss selbst ich, der noch ein Kind ist!