Das Dilemma des perfekten Verbrechens Marc Ruef | 16.02.2009 Seit ich ein kleines Kind bin und mich für Kriminalgeschichten interessiere, frage ich mich, ob es das perfekte Verbrechen gibt. Gerne wird als eindrückliches Beispiel solcher Gedankenexperimente der "perfekte Mord" verwendet. Ich will mich in folgendem Diskurs jedoch allgemeiner halten und mich nicht auf die Art des Verbrechens festlegen. Es kann also abgesehen vom Mord genauso ein Diebstahl, der Insider-Handel mit Aktien oder der elektronische Einbruch in ein Computersystem sein. Hierbei soll die Frage geklärt werden, ob es ein perfektes Verbrechen gibt und welche Eigenschaften es mit sich bringen muss. Eine jede (bewusste) Handlung, und ein Verbrechen gehört zu dieser Klasse, hat bringt ein Ziel mit sich. Ein Verbrechen versucht in der Regel ein von der Gesellschaft in juristischem, oftmals auch in moralischem Sinn geahndetes Ziel zu erlangen. Ein in der kapitalistischen Gesellschaft offensichtliches Ziel ist das Erlangen von Geld. Sei dies nun durch den Mord des Ehepartners zum Erhalt der Auszahlung der Lebensversicherung oder die Tötung eines Passanten zur Entwendung des mitgeführten Bargelds (Raubmord). Das Ziel eines Verbrechens, welches von einem Verbrecher begangen wird, wird weitestgehend als Motiv bezeichnet. Das Motiv eines Raubüberfalls, egal ob nun mit tödlichen oder nicht-tödlichen Folgen für das Opfer, ist der Raub etwaiger Güter (Geld, Schmuck, Kleider). Sobald man ein Verbrechen begeht, legt man bei der Wahl dessen Durchführung sein Motiv offen. Die Täterschaft kann damit eingekreist werden, wodurch das Verbrechen an Perfektion verliert. Es ist unwahrscheinlich, dass Paris Hilton einen Raubüberfall auf offener Strasse begeht. Sicher nicht aus Gründen des Diebstahls von Wahre zwecks Bereicherung. Sie selbst kommt aus einer zu wohlhabenden Familie, alsdass sich die Durchsetzung dieses für sie gefährlichen Verbrechens lohnen würde (es sei denn, psychologische Motive schwingen mit). Ein Raubüberfall mit Ziel der Entwendung von Geld wird in erster Linie von einer Person begangen, der es eben an Geld fehlt. Aus diesem Grund kann das perfekte Verbrechen nur ausgeführt werden, wenn das Motiv nicht ersichtlich ist (oder gar nicht existiert). Wird das Verbrechen nun zum Erhalt von Gütern durchgeführt, obschon dieses Motiv gar keine Priorität geniesst, erschliesst sich das Problem der Entgegennahme und Verwertung dieser. Das anonyme Stehlen von Geld, gerade im elektronischen Bereich, stellt kein allzugrosses Problem dar. Schwierig wird es jedoch, dieses in physisches Geld zu verwandeln und in Empfang zu nehmen. Denn in diesem Augenblick wird unweigerlich die Verknüpfung zwischen Tat und Täter, die es um jeden Preis zu verhindern gilt, hergestellt. Ein Verbrechen ohne Motiv muss quasi rein zufällig geschehen. Ebenso die Wahl des Opfers. Denn wird das Opfer aufgrund nachvollziehbarer Merkmale selektiert (z.B. nur junge Frauen, nur im unmittelbaren sozialen oder geographischen Umfeld des Täters), können damit wieder Rückschlüsse auf den Täter getätigt werden. Die Zufälligkeit muss also auf allen Ebenen mitspielen. Zudem darf zu keinem Zeitpunkt die Anwesenheit des Täters erforderlich bzw. nachweisbar sein. Sowohl das Motiv als auch das Opfer muss in absoluter Weise zufällig gewählt werden. Dies führt dazu, dass dem Verbrechen eine gewisse Ziellosigkeit anhaftet. Das einzige Ziel des Verbrechens wird damit, dass es selbst in "perfekter" Weise durchgeführt wird. Da dabei Menschen ohne nachvollziehbaren Grund zu schaden kommen, wird spätestens hier die moralische Komponente eine für die meisten Verbrecher nicht rechtfertigbare Hürde geschaffen. Die Durchführung eines Verbrechens nur wegen des Verbrechens Willen ist nicht mehr gerechtfertigt. Gehen wir davon aus, dass der Täter diese moralische Hürde nehmen kann (z.B. aufgrund psychosozialer Probleme). Er muss nach wie vor seine unmittelbare Anwesenheit verhindern. Sieht er sich zum Beispiel in der Lage einen elektronischen Einbruch in ein Computersystem durchzuführen, um elektronisches Geld abzuzweigen, darf er nicht selbst dieses entgegennehmen. Er könnte diesen Schritt durch einen Mittelsmann angehen. Damit erschliessen sich jedoch zwei Probleme. Zum einen kennt der Mittelsmann gewisse oder alle Eigenschaften des Täters, da er früher oder spätere ebenso mit ihm in Kontakt kommen muss. Dies kann entscheidende Hinweise bei den Ermittlungen geben. Zusätzlich wird mit dem Mittelsmann die physische Anwesenheit des Täters im Prozess der Tat nur verzögert. Er ist nach wie vor bei der Übergabe der Güter erforderlich und kann aufgrund der physischen Anwesenheit eindeutig dem Verbrechen zugeordnet werden. Diese Diskussion, welche sich über Jahre hinweg manifestiert hat, lässt mich nur zu einem Schluss kommen: Es gibt kein perfektes Verbrechen. Kein Verbrechen kann nicht aufgeklärt werden. Es gibt immer statistische Eigenschaften von Tat, Täter und Opfer, die Rückschlüsse auf Motiv und Täterschaft zulassen. Früher oder später ist immer eine aktive Handlung des Täters erforderlich, wodurch sich dessen Teilnahme zweifelsfrei ausmachen und beweisen lässt. Solange sich diese Eigenschaft von Verbrechen nicht ausnehmen lässt bin ich der Meinung, dass sich Verbrechen, bei denen eine Aufklärung angestrebt wird, nicht lohnen können.