Statistische Analyse der Gemütslage Marc Ruef | 14.09.2009 In meinem jugendlichen Alter habe ich mich darum bemüht, meinen Schein als Freak aufrecht zu erhalten. Mit der Zeit wurde das aber sowohl mühsam als auch langweilig, so dass ich es eigentlich ganz Okay finde, wenn mich die Freaks in meinem Umfeld nicht mehr als solchen wahrnehmen. Eigentlich empfinde ich es manchmal schon fast ein bisschen als Kompliment. Dennoch laufe ich nun folgend Gefahr, mich wieder in die Ecke der Nerds und Geeks drängen zu lassen. Ich muss nämlich zugeben, dass ich in jegliche Form von Statistik vernarrt bin. Das sammeln von Zahlen, das Normalisieren und das in Verbindung bringen derer übt eine starke Faszination auf mich aus. Kann man denn anhand einer intelligenten Statistik ein verborgen geglaubtes Konstrukt erkennen, bringt einem dies der Wahrheit ein betrachtliches Stück näher. So habe ich mich denn in den letzten Jahren intensiver mit verschiedenen Fingerprinting-Mechanismen auseinandergesetzt. Durch das Dokumentieren des charakteristischen Verhaltens einer Sache soll dies, auch wenn sie um ihr Verbergen bemüht ist, identifiziert werden. Im Netzwerkbereich ist dies zum Beispiel das HTTP-Fingerprinting (http://www.computec.ch/projekte/httprecon/), bei dem die HTTP-Rückgaben eines Webservers untersucht werden, um die genutzte Implementierung ausmachen zu können. Ich dachte mir jedoch, dass man nicht nur Computer und Programme "fingerprinten" kann. Dies müsste doch auch für Menschen möglich sein. Mit den beiden Projekten coderecon und textrecon (http://www.computec.ch/projekte/textrecon/) (beide noch nicht veröffentlicht) bin ich darum bemüht, den Autor eines Programmcodes oder eines prosaischen Textes (http://www.computec.ch/news.php?item.245) zu identifizieren. In letzterem kann zum Beispiel die Satzlänge, das Bevorzugen von Zeitformen oder das wiederkehrende Auftreten von Schreibfehlern zur Identifikation herangezogen werden. Als Kind hat mich der Schlaf ungemeint fasziniert. Als ich meine erste Arbeitsstelle nach der Lehre antrat, sollte ich einen gewissen Teil meiner Tätigkeit von zu Hause aus ausüben. Da ich meinen Tag selbstständig planen konnte, entschied ich mich Schlafexperimente anzustellen. Mein Ziel war es, meine Schlafgewohnheiten dahingehend zu optimieren, so dass ich den Schlaf effizienter gestalten und deshalb mit möglichst wenig auskommen sollte. Ich habe eine Unmenge an Büchern über Schlaf und Schlafstörungen gelesen, viele dokumentierte Dinge ausprobiert (z.B. mehrere Tage nicht schlafen, um Halluzinationen zu provozieren; oder mittels Polyphasischer Schlaf nur jeweils alle 4 Stunden für 4 Stunden schlafen). Als ich in der ersten Hälfte dieses Jahres an einer Lungenentzündung erkrankt und drei Wochen ans Bett gefesselt war, habe ich bei meiner Genesung eine unliebsame Schlafstörung feststellen müssen. Anstelle der üblichen 8-10 Stunden wollte sowohl mein Körper als auch mein Gehirn mit nur 3-4 Stunden auskommen. Trotz des offensichtlichen und sich kumulierenden Schlafdefizits blieb mir die erwartete Müdigkeit lange Zeit fremd. Dieser von der Norm abweichende Zustand erinnerte mich an ein Gedankenexperiment, das ich das erste Mal vor einigen Jahren angestellt hatte. Im Rahmen der Identifikation eines Autoren mittels Fingerprinting (textrecon) wollte ich nicht nur die Person als solche, sondern ebenfalls ihren Gefühlszustand statistisch erkennen können. Könnte ich denn genügend Beispiele sammeln, wenn jemand sehr fröhlich, traurig oder müde ist, könnte ich versuchen die spezifischen Eigenschaften des Gemütszustands bei der nächsten Analyse zu berücksichtigen. Wie so oft ist es nicht leicht, hierbei verlässliche Grunddaten zusammenzutragen. Die Gefahr ist zu gross, dass Probanden ohne unmittelbare Kontrolle die Testresultate absichtlich verfälschen, um eventuell durch kognitive Dissonanz ihr Seelenwohl zu bewahren. Also musste ich einmal mehr die Experimente an mir selber durchführen. Ich nahm mir also vor, mich beim Eintreten emotional extremer Situationen hinzusetzen und einen Text zu schreiben. Nach einer gewissen Anzahl zusammengetragener Samples würden diese analysiert und in das Fingerprinting miteinbezogen werden. Dies ist ein langwieriger Prozess, der nicht einfach zu bewältigen ist. Bin ich denn nämlich fröhlich, denke ich gar nicht daran, mich zu fokussieren und meinem Experiment anzunehmen. Und bin ich sehr traurig, dann ist mir wirklich nicht danach, mich hinzusetzen und mir meinen Kopf über ein abstraktes Problem zu zerbrechen. Vielleicht ist deswegen meine Betrachtung zum Scheitern verurteilt. Vielleicht aber auch, weil die Abweichungen des Schreibstils je nach Gemütslage nicht existiert oder zu klein ist. Ich hoffe diese Frage irgendwann beantworten zu können.