Des Teufels Zahl Marc Ruef | 15.03.2010 Ich mag Zahlen. Und ich mag es, mit ihnen zu spielen. Doch was ich nicht mag sind Leute, die nicht verstehen, was Zahlen überhaupt sind: Zahlen sind eine wohldefinierte Klasse von Symbolen, die je nach angewendetem metrischen und arithmetischen System gewissen nachvollziehbaren Eigenarten unterworfen sind. In der Regel repräsentieren Zahlen eine Sache oder einen Zustand. Die dezimale Zahl 5 steht für die Anzahl meiner Finger an einer Hand. Und die dezimale Zahl 186 definiert meine Körpergrösse in Zentimeter. Zahlen abstrahieren also die Realität. Sie können sie weder ersetzen noch auf den Kopf stellen. Sie können sie lediglich, und dies oftmals nur mit erheblichem Aufwand, abbilden. In vielen Fällen gar unter zwingender Zuhilfenahme von Reduktion (z.B. Rundung) nur skizzieren. Zahlenmystik (Numerologie) erachte ich als Unsinn: Solange die Zu- und Abneigung bezüglich gewissen Zahlen regional und kulturell unterschiedlich aufgefasst werden, solange kann ich Zahlen keine Emotionen entgegenbringen: In der Babylonische Zahlensymbolik ist die 14 die Zahl der bösen Dämonen, in China meidet man die 9 - die auch für Beerdigung steht - und in westlichen Ländern fürchtet man die 13. Die letztgenannte Triskaidekaphobie wurde übrigens erst spät, nämlich erstmals im Jahr 1869 beschrieben. Die emotionale Bindung zu Zahlen ist damit genauso unsinnig, wie ein Streitgespräch über Glauben. Denn ohne Wissen kann keine Wahrheit gefunden werden und ohne die Möglichkeit des Findens von Wahrheit birgt ein vermeintlicher Diskurs keinen Nutzen in sich. Ich stelle nun die waghalsig erscheinende Frage, ob gewisse Zahlen verboten werden sollen. In den USA finden sich viele Hochhäuser ohne einen dreizehnten Stock. Er ist damit ein Tabu und könnte ja eigentlich auch gesetzlich verboten werden. Den Buchhalter wirds jedoch nicht freuen, da er bei einem positiven Saldo zwischen 12 und 14 entscheiden müsste (das Rundungsverhalten in diesem Fall müsste man also auch gesetzlich regeln; reelle Zahlen können in diesem Fall eine Approximation anstreben). Aber ein Schutz vor bösen Geistern auf Kosten von Genauigkeit? Das ist nicht der Sinn eines deterministischen Zahlensystems. Ein generelles Verbot einer Zahl macht also keinen Sinn. Man sollte, falls überhaupt, die Einschränkung lediglich auf spezifische Bereiche festlegen. Kein dreizehnter Stock, dann haben wir wenigstens schon mal etwas kleines erreicht. Doch was ist nun, wenn wir eine 1'405 Zahl verbieten würden? Es scheint (bisher) unsinnig, diese beim Bau von Wolkenkratzern zu berücksichtigen. Doch wir können sie im Computerbereich verbieten lassen. So geschehen bei der von Phil Carmody entwickelten Implementierung (http://www.theregister.co.uk/2001/03/19/dvd_descrambler_encoded_in_illegal/) der DeCSS-Entschlüsselung, welche genutzt wurde, um den Kopierschutz von DVDs zu umgehen. In der digitalen Welt nehmen Zahlen unweigerlich eine wichtige Rolle ein. Im Binärsystem werden Daten durch eine Dualität, bestehend aus 0 und 1, wiedergegeben. Diese Informationen können nach Belieben in andere Zahlensysteme umgewandelt werden. Traditioneller Weise werden oktale und hexadezimale Systeme verwendet. Oder man nutzt das gängige Dezimalsystem, um die gleichen Daten darzustellen. Wir müssten also auch die Varianten aller anderen Zahlensysteme verbieten lassen. Doch was ist nun, wenn genau diese Zahl - im Übrigen eine Primzahl - in anderem Zusammenhang genutzt wird? Zum Beispiel zur Berechnung der Statik eines Hauses? Oder wenn es sich hierbei um die Darstellung eines elektronischen Fotos mit einer neuartigen Komprimierung handelt? Ist das Foto dann auch verboten? Jenes Foto, welches (zufälligerweise?) die gleiche Datengrundlage wie der verbotene Code hat? Juristen werden nun argumentieren, dass das Motiv im Zweifelsfall darüber entscheidet, ob es sich um eine Straftat handelt oder nicht. Wenn ich also ein Bildformat entwickle, das zur Darstellung des Empire State Building (Foto siehe Wikipedia) genau die gleiche Datenrepräsentation wie der DeCSS-Code benötigt, dann bewege ich mich im legalen Rahmen. Dass man halt dann mit der Eingabe von "mv empire.pix decss.c; gcc -o decss decss.c; chmod +x decss; ./decss" einen ursprünglich verbotenen Code "generieren" und ausführen kann, das war dann halt Pech/Glück (je nach Standpunkt). Der Gedanke muss nun weitergesponnen werden, wie es sich denn zum Beispiel mit Kinderpornografie verhält, wenn diese in einem Format gespeichert wird, zu dem es (offiziell) keinen Viewer/Converter gibt. Macht sich jemand strafbar, wenn er Datenmüll hortet, den nur er in fragwürdiges Material zurückverwandeln kann. Und was ist, wenn der Täter effektiv kein Programm hierfür benötigt und dementsprechend auch keines Besitzt, da er durch Verständnis des Datenformats die Ursprungsdaten in seinem Kopf "rekonstruieren" kann? Halt genauso, wie jemand, der der Source Code einer Software durchschaut und zu jedem Punkt genau weiss, welchen Zustand das Benutzerinterface und die jeweiligen Datenbereiche haben werden. Durch klassische Konditionierung nach Pawlow, die wohl über Jahre durchgesetzt werden müsste, liessen sich simple Symbole mit Emotionen verknüpfen. Der Buchstabe G könnte sodann für eine verbotene Handlung stehen. Die Ansicht dessen oder gar nur der Gedanke an ihn könnte die gewünschten Gefühle auslösen (z.B. Freude und Wollust). In diesem Fall ginge es nicht mehr darum Daten zu verbieten, sondern Gedanken an diese bzw. an verbotene Dinge. Dies führt zur alten Debatte darüber, ob schon alleine der Gedanke an eine Kindsmisshabdlung wie eine solche geahndet (sei es auch nur durch eine medizinische/psychologische Behandlung) werden soll. Und wie sieht es aus mit einem Mord? Einem Diebstahl? Einer Lüge? Wo hört Unrecht auf und wo fängt Recht an? Und kann man diese beiden Dinge von Zahlen abhängig machen?