Der Cyberstalker Marc Ruef | 26.04.2010 Stalking ist kein Phänomen der Neuzeit. Es gibt es wahrscheinlich schon so lange, wie es den Menschen gibt. Doch im Informationszeitalter ist das Verfolgen von Menschen noch viel einfacher geworden. Ich möchte ein kleines Szenario, das nicht mal so abwegig ist, skizzieren. Nehmen wir an, ich fahre in einem öffentlichen Verkerhsmittel. Gegenüber von mir sitzt eine hübsche junge Dame. Sie nimmt mich nicht wirklich wahr. Ich möchte mich ihr eigentlich nähern, bin jedoch zu scheu dafür. Plötzlich klingelt ihr Handy und sie beginnt ein Gespräch mit ihrer Freundin. Ich schnappe per Zufall den Namen Sonja - wohl der Name einer anderen Freundin - auf. Als ich zu Hause bin, öffne ich Facebook und suche nach dem Namen Sonja. Ich finde eine Vielzahl an Profilen, wobei diese glücklicherweise so angeordnet sind, dass jene Treffer mit der höchsten Relevanz zu oberst sind. Eine hohe Relevanz wird hier hierbei durch Facebook berechnet, indem geografische und soziale Verbindungen bewertet werden: Umso näher jemand in meiner Umgebung wohnt und umso eher sich unsere Freundeskreise überschneiden, desto weiter Oben wird der Treffer angezeigt. Ich gehe die Profile der einzelnen Sonjas durch und lasse mir jeweils alle ihre Freunde anzeigen. Durch ein kleines Skript automatisiere ich diesen Prozess und speichere alle gefundenen Profilfotos auf meine lokale Festplatte. Dies erlaubt mir das Durchgehen sämtlicher Fotos, denn so möchte ich die hübsche Dame, deren Name ich bisher noch nicht kenne, finden. Im vierten Profil der zweiten Sonja findet sich ein Foto einer Freundin, auf der ich meine Angebetete wieder erkenne. Ihr Name lautet Jeanette S. und laut ihrem Facebook-Profil wohnt sie in der Nachbarstadt. Ich schicke ihr mal über meinen Fake-Account eine Freundschaftsanfrage. Da sie die Privacy Settings in ihrem Facebook-Profil nicht wirklich strikt angewendet hat, kann ich einige Profilfotos herunterladen. Dort sehe ich, wie sie sich feuchtfröhlich an der letzten Osterparty im Inspiron, ein bekannter Club in der gleichen Stadt, amüsiert hat. Ich gehe auf dessen Webseite und schaue mir neben den Party-Fotos (sie scheint auch einige weitere hübsche Freundinnen zu haben!) das öffentliche Forum an. Dort finde ich einen Eintrag von ihr, in dem sie sich bei "ihren Mädels" für die "tolle Party" bedankt. Auf keinem der Fotos und auch nicht in ihrem Posting ist ein Hinweis auf einen Freund zu finden. Ich scheine freie Bahn zu haben. Zwischenzeitlich hat sie meine Freundschaftsanfrage auf Facebook bestätigt. Wahrscheinlich, weil mein zusammengeklautet Profilfoto so freundlich wirkte. Ich gehe ihre Statusmeldungen durch und finde viele Hinweise aus ihrem täglichen Leben: Letzte Woche wurde ihre beste Freundin 25, gestern Abend hatte sie Muskelkater nach ihrem Yoga-Kurs und heute will sie mit Patricia etwas trinken gehen. Sie wissen noch nicht, wo sie hinwollen, aber das werden sie wohl bald auf der öffentlichen Wall ausdiskutiert haben ("Sollen wir ins Notice oder dann doch lieber ins Café Prisma?"). In den allgemeinen Informationen hat sie sich als "Single" eingetragen, interessiert sich nicht für Religion oder Politik ("lieber Party machen"). Sie steht auf grosse, sportliche Männer. Zu ihren Lieblingsfilmen gehören xXx mit Vin Diesel (http://www.imdb.com/title/tt0295701/) und P.S. I Love You (http://www.imdb.com/title/tt0431308/). Ach ja, und sie ist ganz verrückt nach der TV-Serie Lost (http://www.imdb.com/title/tt0411008/). Sie ist zur Zeit in der fünften Staffel und ganz gespannt darauf, was noch alles passieren wird. Und sie haben sich entschieden, nun doch ins Notice zu gehen. Um 20:00 Uhr treffen sie sich, Sabi kommt auch noch mit. Ausgezeichnet! Ich hole mir eine Kopie von Season 5 von Lost. Ziehe mich schick an. Schwarz, das macht mich schlank. Und meine weissen Basketball-Schuhe, das lässt mich sportlich wirken. Um 20:20 Uhr treffe ich im Notice ein. Per Zufall ist der Tischen neben den drei Damen noch frei und so setze ich mich dort hin. Nach fünf Minuten lasse ich mein Handy klingeln (dafür gibts ja auch ne iPhone App). Ich tue so, wie wenn mein bester Freund mich gerade versetzt hätte. Irgendwas mit Familie und so. Ziemlich enttäuscht will ich aufstehen, als mir die Lost-DVDs runterfallen; genau vor die Füsse von Jeanette. Sie erschrickt, ich entschuldige mich und will gerade die DVDs hochheben, als sie zu ihren Freundinnen sagt: Oh ja, ich bin ja so gespannt, wie es bei Lost weitergeht ... Dies ist meine Chance. Ich frage sie, ob sie denn gerne Lost sieht. Sie nickt und lächelt mich an. "Nun", entgegne ich schüchtern, "eigentlich wollte ich heute mit einem Freund einen DVD-Abend machen, aber leider geht es ihm nicht so gut. Habt Ihr vielleicht Lust?" Die drei bitten mich an ihren Tisch und wir reden über allerlei Dinge. Darüber, wie ich an der letzten Osterparty im Inspiron abgefeiert habe, wie lange ich schon Basketball spiele, welches meine Lieblingsfilme sind (xXx und P.S. I Love You) und dass ich voll auf Lost abfahre. Ein guter Abend. Mit Sicherheit ein Abend, der vor der Ära von Facebook, Twitter und Foursquare so nicht möglich gewesen (http://www.scip.ch/?labs.20100423) wäre.