Falsches Risikomanagement am Beispiel der Kernkraft Marc Ruef | 19.03.2012 Man erinnert sich nicht gerne zurück, an die Zeit des Zwischenfalls in den Atomreaktoren in Fukushima. Zu real ist die Bedrohung, die von Zwischenfällen wie diesem ausgeht. Als die Ereignisse noch sehr frisch waren, wurden rege und emotional die Risiken von Kernkraftwerken diskutiert. Plötzlich schien sich jeder mit den Risiken entsprechender Lösungen auszukennen. Tatsächlich - und dies habe ich in meinem unmittelbaren Umfeld erfahren - wurde sehr viel Halbwissen und Unsinn erzählt. Ein Grossteil der Leute, die sich nicht mit Risikomanagement auskennen, haben für die rigorose Abschaltung sämtlicher Kernkraftwerke plädiert. Dem hatte ich jeweils nur ein Wort entgegenzusetzen: Wieso? Die spontanen Antworten waren, dass man Kernkraft schlichtweg nicht sicher betreiben könne. Und spätestens dann, wenn das Wort "sicher" gefallen ist, dann fühle ich mich in der Diskussion zu Hause. Denn so stellte ich die nächste Frage: Wieso ist es denn nicht sicher? Kernkraftwerke seien nicht sicher, weil sich bei einem Zwischenfall verheerende Folgen entfalten würden. Explosion und atomare Strahlung würden in unmittelbarer und langwieriger Weise zu Krankheit und Tod führen. Dem will ich nicht widersprechen, doch beantwortet es meine Frage nicht. Damit wird schliesslich nur die hohe Tragweite der Auswirkungen eines Zwischenfalls illustriert. Das Risiko der Eintrittswahrscheinlichkeit, und diese ist für die Erfüllung der Auswirkungen zwingend erforderlich, wurde noch nicht angesprochen. In den allermeisten Fällen ist jetzt der Zeitpunkt erreicht, bei dem sich die Leute argumentativ in die Enge gedrängt fühlen. Man bezieht sich dann schnell auf Fukishima, das nicht für die Situation von Erdbeben und Tsunami ausgerichtet wurde. Man habe bei der Erarbeitung der Anlage Risiken ignoriert. Offensichtlich konnte die Anlage nicht mit den besagten Ereignissen umgehen. Es handelt sich aber auch um ein bis dato einmaliges Ereignis, das sich statistisch nicht in offensichtlicher Weise voraussagen liess. Also eine Eventualität, die schlichtweg ignoriert werden musste. Ein gewisses Entsetzen zeichnet sich auf den Gesichtern meiner Gesprächspartner ab. Risiken ignorieren? Nein, sowas dürfe man niemals tun, wird dann gesagt. Doch wir tun es jeden Tag. Wir überqueren die Strasse, manchmal sogar abseits des Fussgängerstreifens, obwohl ein realistisches Risiko eines Unfalls besteht. Im Auto fahren wir mehr als 20 km/h, obwohl erst ab dieser Geschwindigkeit das Risiko eines Schleudertraumas besteht. usw. Das Leben besteht im Abschätzen, Vermindern und Akzeptieren von Risiken. Manche Risiken will man nicht akzeptieren. Manche Risiken kann man verringern. Kann oder will man gewisse Risiken nicht vermindern, spricht man von Restrisiken. Mit den Restrisiken muss man leben. Wollen wir Strom aus Kernkraft, dann müssen wir die Restrisiken akzeptieren. Betrachtet man die Eintrittswahrscheinlichkeit von gefährlichen Zwischenfällen, dann wurden die Risiken soweit sehr gut verringert. Sie aber gänzlich zu eliminieren, das bleibt auch hier - genauso wie beim Autofahren - schlichtweg nicht möglich. Wenn wir nun rigoros Kernkraft abschalten, dann müssten wir genauso rigoros Fussgänger und das Fahren mit mehr als 20 km/h verbieten. Und viele andere Sachen auch (Alkohol, Lifte/Treppen, Pilze, etc.). Stattdessen sollten wir den geplanten Ausstieg aus der Atomkraft angehen und endlich auf erneuerbare Energiegewinnung setzen. Die Rückkehr zu Kohlekraftwerken darf beispielsweise nicht passieren, denn dies wäre meines Erachtens ein schlimmer Rückschritt. Auch wenn das akute Risiko, wie man es von der Kernkraft her kennt, hier nicht bestehen bliebe.