Gefallene Helden Marc Ruef | 09.07.2012 Das Leben besteht aus dem Erlernen neuer Fähigkeiten. Ich selbst konnte mich schon für so manche Sache begeistern: Computer, Musik (Gitarre/Schlagzeug), Skateboard/Inline-Skaten, Tennis. Der Ablauf ist stets der Gleiche, denn zu Beginn steht man vor einem grossen Gebiet, das man nur mit Mühe - wenn überhaupt - überblicken kann. Sehr schnell merkt man dann, dass es da Leute gibt, die einem viel Voraus haben. Und irgendwann findet man Personen, die für einem aufgrund ihrer hervorragenden Leistung einen kleinen Heldenstatus innehaben. Als ich im Jahr 1997 erstmals mit dem Internet in Berührung kam und damit meine Kenntnisse zum Thema Computersicherheit - in erster Linie Kryptologie und Viren - durch Netzwerksicherheit erweitern konnte, habe ich auch schnell neue Helden gefunden. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich im Jahr 2000 einen Penetration Test auf ein proprietäres Remote-System durchführen musste. Alle meine Versuche als nicht-authentisierter Benutzer dennoch Zugriff zu erhalten, sind gescheitert. Eines Abends fand ich plötzlich eine Seite, wo jemand ein quelloffenes Tool zur Umsetzung von Bruteforce-Attacken gegen das bis dato geheime Protokoll anbot. Ich war entzückt! Diese Webseite gibt es immernoch und ich schaute immerwieder vorbei. Da gab es neue Beiträge und neue Software. Wirklich gute Forschungsarbeiten, an denen ich grosse Freude fand. Irgendwie blieb dieser Entwickler, der mittlerweile auch ein paar Bücher geschrieben hat, für mich auf seinem Fachgebiet ein Vorbild. Vor einiger Zeit sollte ich an einer Konferenz einen Vortrag halten. Umso grösser war meine Freude, als ich sah, dass mein Held von damals ebenfalls als Speaker zugegen sein sollte. Ich hatte mir fest vorgenommen, bei ihm vorstellig zu werden und mich für die indirekte Hilfe aus dem Jahr 2000 - also mehr als 10 Jahre später - zu bedanken. Mich selbst freut es jedenfalls immer, wenn jemand zu mir kommt und berichtet, dass er aus einer meiner Arbeiten einen Nutzen ziehen konnte. Da kam dann auch der grosse Tag, an dem ich seine Hand schütteln sollte. Zu meinem Bedauern war er stark angetrunken. Es war gerade mal 09:30 Uhr morgens und ich wusste nicht, was mich mehr irritieren sollte: Seine starke Whiskey-Fahne, das unverständliche Genuschel oder das unkoordinierte Getorkel. Ein bisschen angewidert von seinem schluddrigen Auftreten hielt ich die Begegnung dann sehr kurz - Händeschütteln, bedanken und alles Gute wünschen. Dieses Aufeinandertreffen machte mich traurig. Denn es schien offensichtlich, dass das Leben dieses Menschen von einem grossen Problem gesteuert wurde. Im Verlauf der Konferenz zeichnete sich ab - und es wurde mir von verschiedenen Stellen zugetragen -, dass sein bester Freund der Alkohol war. Nur der Schlaf konnte verhindern, dass er noch weiter trank. Es tat mir leid, einen solch brillianten Geist zu sehen, der sich selber im Wege steht. Manchmal ist es halt besser, seine Helden nicht zu treffen.