Richtig beraten will gelernt sein Marc Ruef | 04.08.2014 Ich bin nun schon viele Jahre als Berater tätig. Und da ich meinen Beruf nicht als ein Müssen, sondern als eine Kunst verstehe, wollte ich stets die Prinzipien dessen verstehen. Daher habe ich über die Zeit ein Gespür entwickelt, was einen guten Berater ausmacht. Vor ein paar Jahren wollte ich mir ein neues Auto kaufen. Da ich alleinstehend, ohne Familie und unter 30 Jahren war, sollte es ein spassiger 2-sitzer sein. Ein kleiner Sportwagen, mit dem man Spass haben kann. Doch wenn ich jemandem von der Idee des Mercedes SLK (R 171, Baujahr 2009) erzählte, bekam ich sofort und ohne Pause die folgenden Aussagen an den Kopf geschmissen: * Ein 2-sitzer hat viel zu wenig Platz, Du brauchst einen Kombi/SUV! * Ein 2-sitzer hat einen zu grossen Spritverbrauch, Du brauchst einen Smart bzw. ein Fahrrad! * Ein Mercedes ist zu teuer, Du kriegst das Gleiche bei Kia für weniger Geld! * Mercedes sind hässlich, Du musst einen Audi/BMW kaufen! Ich war stets irritiert und irgendwann dann mal auch wütend, dass man in diesem Dialog das Grundprinzip des Beratens kategorisch übergehen wollte: Man muss dem Kunden nicht seine eigenen Idee und Wünsche aufzwängen - Stattdessen sollte man seine Bedürfnisse identifieren und im Rahmen derer die bestmögliche Lösung oder nahbare Alternativen anbieten. Ich begann also dann Gegenfragen zu stellen: * Wieso soll ein 2-sitzer zu klein sein, wenn ich weder Freundin noch Kind habe, 95% der Zeit alleine im Auto bin und im Schnitt nur alle 7 Jahre umziehe? * Wieso soll ein 2-sitzer zu viel Sprit verbrauchen, wenn dieser doch mit der neuesten Technologie ausgestattet ist und sich ohne Probleme in meinem Fall mit einem Durchschnittsverbrauch von 6.6 l/100km (Diesel) bewegen lässt? * Wieso soll ein Mercedes überproportional teuer sein und asiatische Marken zu weniger Geld die gleiche Leistung/Qualität bieten können? Die Erfahrungsberichte und Tests in dieser Richtung zeigen seit Dekaden das Gegenteil auf. Es geht nicht nur um PS und Features, sondern hier spielen auch Unterhalt und Werterhalt eine Rolle. * Wieso soll ich ein Auto kaufen, das jemand anderes schön findet, obwohl schlussendlich ich das Geld ausgebe und mich darin sehen lassen muss? Das Auto kaufe ich für mich und nicht für jemand anderen. Die meisten meiner Gesprächspartner realisierten nicht, dass die Wahl eines Autos von persönlichen Bedürfnissen, Wünschen und Geschmack abhängen. Sie sahen jeweils ihre eigene Evaluation, die sich übrigens im Detail nicht mal ausformulieren konnten, als das Mass aller Dinge an. Wie dem auch sei, ich habe zum Schluss keinen SLK gekauft. Aber ich bin zwischendurch einen gefahren (Baujahr 2013) und hatte Freude daran. Da sich meine private Situation mittlerweile geändert hat, bietet sich ein 2-sitzer als Erstauto sowieso nicht mehr an. Hätte ich doch damals einen 2-sitzer gekauft, dann hätte ich meinen Spass gehabt. Nun muss ich warten, bis meine erste Midlife-Crisis ansteht. Dann wirds aber vielleicht ein SL sein.